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     3857  3 Kommentare Krieg in Berlin?

    Heute Morgen um 3 Uhr war die Nacht erst einmal vorbei. Einer oder mehrere Hubschrauber donnerten mit Getöse mehrmals im Tiefflug über unsere Gegend. Früher standen sich hier jahrzehntelang Russen und Amerikaner gegenüber, da war es aber eigentlich immer ruhig.

     

    Doch jetzt? Da ich keine Krankenwagen höre, kann es sich nicht um einen Unfall auf der Autobahn handeln. Es bleibt eigentlich nur eine Lösung, nämlich dass sich das alles um die nachts anreisenden Corona-Demonstranten dreht.

     

    Ich muss allerdings an Vietnam denken. Ich liege in meinem Bett und es hört sich an, als liefe ein Film über den Vietnamkrieg. Und ich nehme mir vor, gleich am Morgen, falls ich noch einmal einschlafe, „The End“ der Doors aufzulegen.

     

    Ich habe keine Ahnung von den anstehenden Demonstrationen und auch keine Meinung dazu. In Berlin grassiert sowieso der Wahnsinn und ich freue mich jeden Tag, in der Peripherie so dicht an der Autobahn zu wohnen, dass ich, wenn ich will, schwupps sofort weg bin.

     

    Interessant ist an dieser Sache jedoch, wie sich manche Dinge zusammenbasteln. Ich schreibe mittlerweile seit 35 Jahren Tagebuch und habe gerade mit einem orangefarbenen angefangen. Und weil es das noch nie gab, habe ich darin euphorisch die „orangene Phase“ ausgerufen und damit viel Gutes verbunden.

     

    Da es mir in den letzten Tagen jedoch nicht so gut ging, habe ich dort schließlich hineingeschrieben, vielleicht alles falsch angepackt zu haben und nach „Agent orange“ gegriffen zu haben. Und dann auch noch heute Nacht die Vietnam-Hubschrauber. Das ist schon skurril.

     

    Eigentlich hatte ich jedoch eine ganz andere Kolumne vorbereitet, und die liegt gar nicht so weit entfernt davon:

     

     

    Die vorläufige Republik

     

    In der letzten Woche habe ich einen neuen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018 bekommen. Er ist vom 21. August und nach § 165 der Abgabenordnung vorläufig. Er ersetzt den Einkommensteuerbescheid für 2018 vom 25. Juni dieses Jahres, der ebenfalls vorläufig gewesen ist.

     

    Wenn ich nicht wüsste, dass mir hier niemand einen dummen Streich spielt, würde ich genau daran glauben.

     

    Von dem Kleingedruckten über vier Seiten verstehe ich kaum etwas. Ich sehe aber, dass die Vorläufigkeit unter anderem auf der noch nicht gefallenen Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags von 1995 beruht sowie auf der ebenfalls noch höchstrichterlich ausstehenden über die Höhe des Zinssatzes für verspätete Zahlungen.


    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Krieg in Berlin? Die vorläufige Republik