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    Dr. Holger-Ludwig Riemer  4191  3 Kommentare Im Gespräch zum Thema „Der richtige Umgang mit Insolvenzen in Zeiten von Corona“

    Der richtige Umgang mit Insolvenzen in Zeiten von Corona: Im Gespräch mit Dr. Holger-Ludwig Riemer

    Der gebürtige Düsseldorfer Herr Dr. Holger-Ludwig Riemer ist Rechtsanwalt, Unternehmer und Autor und wurde 2008 zum Dr. rer. pol. promoviert. Als Inhaber und Vorsitzender der Audentic AG sowie der Wohnwert AG verfügt er über eine umfangreiche Expertise im juristischen Bereich wie auch im unternehmerischen Kontext. Wir haben ihn als Experten zum Thema „Der richtige Umgang mit Insolvenzen in Zeiten von Corona“ selbst befragt.

    Das Insolvenzrecht wurde in Deutschland aufgrund der Covid-19 Pandemie gelockert. Wie schätzen Sie die Lockerungen allgemein im Hinblick auf Wirkungsweise und Erfolg ein?

    Konkret ist durch das Covid-19-Insolvenzaussetzungs-Gesetz (COVInsAG) die strikte Anwendung der Regeln zur Insolvenzreife geändert worden. Geschäftsführer von durch die Auswirkungen der Pandemie insolvent gewordenen Unternehmen müssen für eine Übergangszeit – bislang zum 31.12.2020 - keinen Insolvenzantrag mehr stellen. Damit sollen die Unternehmen ausreichend Gelegenheit bekommen, sämtliche Sanierungs- und Refinanzierungsmöglichkeiten ausschöpfen und damit Arbeitsplätze retten zu können. Diese Lockerungen des Insolvenzrechts sind damit eine entscheidende Rettungsmaßnahme nach dem ersten Lockdown gewesen. Sie bildeten erst die Grundlage für die weitere Sanierung. Flankiert mit dem erleichterten Zugang zu öffentlichen Mitteln sowie dem Instrument des Kurzarbeitergeldes konnte so bislang ein großflächiger Einbruch der deutschen Wirtschaft wirksam verhindert werden. Die dann allerdings am 28.10.2020 ergänzend als Teil-Lockdown beschlossenen Schließungen und Kontaktbeschränkungen zur Verhinderung einer exponentiellen Verbreitung des Covid-19 Virus, haben die Situation noch einmal deutlich verschärft. Der endgültige wirtschaftliche Ruin bereits angeschlagener Branchen steht zu befürchten. Entscheidend ist jetzt der schnelle und unkomplizierte Zugang aller betroffenen Unternehmen zu deutlich mehr finanzieller Unterstützung. Hier muss der Staat jetzt tief in die Tasche greifen, um die Struktur von Wirtschaft und Gesellschaft zu erhalten. Meines Erachtens selbstverständlich ist aber auch, dass gerade die Gewinner der Krise, die großen Internetkonzerne (Amazon, Ebay, etc.), ebenfalls ihren Beitrag zur Aufbringung der staatlichen Hilfsgelder durch angemessene Steuerzahlungen in Deutschland leisten.

     

    Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht soll laut des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz den von den Auswirkungen der Covid-19 Pandemie betroffenen Unternehmen Zeit für die Sanierungsbemühungen und Verhandlungen mit den Gläubigern verschaffen. Welche Gefahren gehen hierbei von einer möglichen Insolvenzverschleppung aus?

    Von den Lockerungen des Insolvenzrechtes sollen eigentlich nur die Unternehmen profitieren, die zum 31.12.2019 noch nicht insolvenzreif waren. Für diese wird gesetzlich vermutet, dass eine spätere Insolvenzreife auf den Auswirkungen der Corona Pandemie beruht und Aussicht auf deren Sanierung besteht. Aber natürlich gibt es auch Unternehmen, die z.B. infolge jahrelangen billigen Geldes, schon Ende 2019 am Rande der Insolvenz standen und jetzt der Antragspflicht quasi entkommen. Unter Berücksichtigung des großen Nutzens der Aussetzung der Antragspflicht für zigtausende andere betroffene Unternehmen, sind diese Tendenzen der Insolvenzverschleppung aber hinnehmbar. Schlimm wird es werden, wenn die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ausläuft und eine Welle von Insolvenzen auf uns zu kommt, was nicht unwahrscheinlich ist.

     

    Viele Unternehmen der hiesigen Wirtschaft mussten staatliche Zuschüsse und Notfallkredite in Anspruch nehmen, um die Auswirkungen der Krise kompensieren zu können. Wie beurteilen Sie die Verteilung der Hilfsgelder?

    Die Hilfsgelder haben bisher grundsätzlich sicher ihren Nutzen gehabt. Die Soforthilfe für Selbständige und Einzelkaufleute war insoweit sinnwidrig, als mit ihr nicht deren Lebensunterhalt finanziert werden durfte. Für größere Unternehmen war selbst der Höchstbetrag in Höhe von 25.000 Euro eher der Tropfen auf dem bekannten heißen Stein. Relevante Kredite über die KfW waren da schon eher bedeutsam. Diese sind aber nicht umsonst und müssen zurückgezahlt werden. Insgesamt sind heute von den bereit gestellten 20 Milliarden Euro erst etwa 5 Milliarden Euro abgerufen worden. Mit dem am 28.10.2020 verhängten Teil-Lockdown hat sich der Bedarf an Hilfsgeldern zur Vermeidung ruinöser Folgen aktuell noch einmal deutlich erhöht. Dies sieht die Politik wohl auch so. Immerhin können die unmittelbar Betroffenen Hilfsgelder bis zu 75 % des Vorjahresumsatzes beanspruchen.

     

    Wie schätzen Sie die Rückzahlungsmöglichkeiten der Unternehmen ein, die staatliche Hilfen im Zuge der Krise in Anspruch nehmen mussten?

    Im Idealfall finden die betroffenen Unternehmen nach der Krise in ihr gewinnbringendes Geschäftskonzept zurück, so dass sie theoretisch die Hilfsgelder zurückzahlen können. Unmöglich wird dies aber, wenn die Beträge z.B. wegen der Länge der Krise oder negative Veränderungen in der Geschäftsgrundlage zu groß geworden sind. Wegen der „Systemrelevanz“ der Unternehmerschaft plädiere ich hier grundsätzlich für die Entwicklung eines angemessenen Rückzahlungsschlüssels, der unter anderem die Leistungsfähigkeit der Unternehmen individuell berücksichtigt. Die Deutsche Lufthansa sehe ich hier eindeutig eher in der Verpflichtung zur Rückzahlung als etwa Solo-Selbständige. Auch die Rückzahlung von Teilbeträgen ist denkbar.

     

    Für wie wahrscheinlich halten Sie im Hinblick auf wieder steigende Infektionszahlen eine Verlängerung oder Ausweitung der Lockerungen und Hilfsmaßnahmen und wie schätzen Sie die Zukunft des Insolvenzmanagements ein?

    Da wir mit dem Teil-Lockdown vom 28.10.2020 wegen steigender Infektionszahlen bereits den nächsten Schritt zur Pandemiebekämpfung gegangen sind, ist eine Verlängerung der Insolvenzlockerungen zwingend erforderlich. Die Sanierung von großen Teilen der Wirtschaft würde sonst ausschließlich durch Insolvenzverwalter erfolgen. Wegen der Gleichartigkeit der Betroffenheit (Geldmangel) können die Unternehmen sich zunächst aber wahrscheinlich selbst am besten retten. Die Insolvenzverwalter werden dann in der Folge von entscheidender Bedeutung sein, wenn es darum geht, überlebensfähige Unternehmen von nicht mehr Überlebensfähigen zu trennen und das Überleben Ersterer zu sichern. Hier habe ich in die Kompetenz der Kollegen vollstes Vertrauen.




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    Seyit Binbir
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    Seyit Binbir ist Börsenexperte und Wegbereiter vieler Unternehmen im digitalen Sektor. Seine Erfahrungen und Analysen veröffentlicht er als Redakteur in verschiedenen Börsenpublikationen, damit auch andere von seiner Leidenschaft für Aktien profitieren.
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    Verfasst von Seyit Binbir
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