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    Jörn Leogrande: „Bad Company“  19957  0 Kommentare Innenansichten der Wirecard AG: Mordfantasien, Machtspielchen und die besten Sitze in der Business-Class

    Der ehemalige Chef der globalen Innovationsabteilung bei Wirecard, Jörn Leogrande, hat einen Insiderbericht über seine Zeit beim insolventen Zahlungsdienstleister veröffentlicht. wallstreet:online hat das Buch gelesen.

    Die spektakuläre Insolvenz des Finanzdienstleisters Wirecard liegt zwar schon zehn Monate zurück, doch noch immer dominiert das Thema die Wirtschaftsspalten der deutschen Medien. Fast täglich kommen neue Details zum Bilanz-Skandal ans Licht. Es geht dabei in erster Linie um 1,9 Milliarden Euro, die es vermutlich nie gegeben hat, um geprellte Anleger, die teilweise ihr gesamtes Vermögen verloren haben, aber auch um Manipulationsvorwürfe sowie aggressives Verhalten gegenüber Kritikern und Journalisten. Erst kürzlich veröffentlichte das „Handelsblatt“ die Nummer von Jan Marsaleks goldener Visa-Kreditkarte sowie Chat-Nachrichten aus einem Gespräch, das er mit einem Geschäftspartner unter dem Decknamen Richard Dabrowski geführt haben soll. Und vor ein paar Tagen konnte man „Stromberg“-Darsteller Christoph Maria Herbst als Bösewicht Markus Braun zur Primetime auf RTL sehen.

    Die Wirecard AG hat es also als prominent besetztes Doku-Drama ins Fernsehen geschafft, was ungewöhnlich ist für einen eigentlich zahlenlastigen Börsenkrimi. Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis ein Insider über seine Zeit bei Wirecard auspackt. Jörn Leogrande, zuletzt „Executive Vice President Wirecard Innovation Labs“ in der Firmenzentrale bei München, hat kürzlich ein Buch veröffentlicht, in dem er über seine Zeit beim ehemaligen DAX-Konzern berichtet. Bereits kurz nach Veröffentlichung wurde „Bad Company“ zum „Spiegel-Bestseller“, der Regisseur Robert Schwendtke will den Insider-Bericht demnächst ins Kino bringen. Wer sich nun angesichts der schieren Menge an frei verfügbaren Informationen zu Wirecard fragt, ob das Buch von Leogrande überhaupt noch neue Einblicke liefert, kann ganz unbesorgt sein.

    Einige Szenen hat Leogrande zwar bereits zu Werbezwecken an die Medien weitergegeben, beispielweise den herrlich skurrilen Moment im Zugabteil, in dem ihm von einem verkrampften und unnahbaren Braun nach mehrjähriger Zusammenarbeit endlich das „Du“ angeboten wurde. Regelmäßige Leser von Wirtschaftsnachrichten dürften sicherlich auch schon die eine oder andere Anekdote über Brauns dekadentes Einkaufsverhalten beim Münchner Feinkosthändler Käfer kennen, doch nach knapp 15 Jahren im Konzern hat Leogrande noch reihenweise Geschichten auf Lager.

    Anwälte drohen mit Millionenklagen

    Natürlich spielt auch unser Börsenportal eine wichtige Rolle im Enthüllungsbuch über Wirecard, Leogrande bezeichnet wallstreet-online.de sogar als den Ort, an dem „das ganze Unglück seinen Lauf nahm“. Was war passiert? Am 1. Mai 2008 wurde „auf den Forenseiten der Internet-Plattform Wallstreet:Online eine neue Diskussion mit dem eigentlich harmlosen Titel ‚Wirecard – Top oder Flop‘“ gestartet. Doch gleich „im ersten Text geht es ans Eingemachte“, wie Leogrande schreibt. Der Nutzer Memyselfandi007 tritt mit seinem Beitrag Zweifel über das Geschäftsmodell von Wirecard los.

    Die Polizei lässt den Blogger schließlich verhören, bei Wirecard fantasiert man von einer Schadensersatzklage im „dreistelligen Millionenbereich“, ein anderer Kollege empfiehlt, den störenden Blogger bei nächster Gelegenheit mit dem „Raketenrucksack“ aus einem bekannten Videospiel zu töten. Und obwohl Markus Braun „mit der Hilfe einer ganzen Heerschar von Rechtsanwälten“ kritische Einträge löschen ließ, kann man den ursprünglichen Foreneintrag noch heute lesen. Inzwischen wurde er mehr als 20 Millionen Mal angeklickt.

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    Die Stärken von „Bad Company“ liegen eindeutig in der Nähe zu den Hauptakteuren des größten deutschen Wirtschaftsskandals der Nachkriegsgeschichte. Leogrande ist ein guter Beobachter, der in seinem Buch hohes Tempo mit einem ordentlichen Schuss Ironie verbindet. Er kennt die menschlichen Schwächen seiner ehemaligen Kollegen und schreckt nicht davor zurück, Namen zu nennen. Bei den alten Verbündeten dürfte er sich damit allerdings nicht besonders beliebt machen: Leogrande berichtet über eine Dame aus dem höheren Management, die intern den nicht besonders schmeichelhaften Spitznamen „SS“ trägt, er erwähnt die ausgedehnten „Call of Duty“-Zockereien eines Mitarbeiters während der Arbeitszeit und gibt auch zu Protokoll, wer regelmäßig Joints raucht, „um den Rest des Tages einigermaßen unbeschadet überstehen zu können.“

    Musikalische Schnitzeljagd über 288 Seiten

    Sätze wie „Florian Stermann ist ein fülliger Typ, trägt stets das Hemd aus der Hose und die Haare wild verweht. Ein trinkfester Lebemann, ein ausgefuchster Business-Typ, vermutlich ohne große moralische Beißhemmungen, aber vor allem ein Networker“, steigern zweifellos den Unterhaltungswert, das Justiziariat des Penguin Verlags dürfte deshalb aber so manch schlaflose Nacht gehabt haben – zu gerne würde man die unbearbeitete Rohfassung lesen.

    Generell scheint die Verlagsgruppe Random House ihrem Wirecard-Insider aber weitgehend freie Hand gegeben zu haben. Leogrande darf seine popkulturellen Vorlieben ausleben, regelmäßig tauchen Verweise zum Star Wars-Franchise auf, außerdem finden sich fast in jedem Satz gleich mehrere Anglizismen. 15 Jahre im international agierenden Marketing bei Wirecard haben ihre Spuren im Wortschatz des Autors hinterlassen: Ein E-Mail-Postfach ist bei Leogrande grundsätzlich eine Inbox und eine Pressemitteilung ein Press release, konsequenterweise sind gleich vier Kapitelüberschriften in englischer Sprache verfasst.

    Gleich an mehreren Stellen beendet der studierte Germanist Sätze mit einer Zeile aus einem bekannten Song von Britney Spears. Nach knapp 300 Seiten dürfte jedem Leser klar sein, welche Lieder Leogrande während des Schreibens an seinem Buchs gehört hat. Wer mit den Werken von Bob Dylan, Elvis Presley und Curtis Mayfield vertraut ist, hat auf jeden Fall mehr Spaß beim Lesen.

    Letztendlich präsentiert „Bad Company“ reichlich schräge Charaktere, denen jeder Bezug zum echten Leben abhandengekommen zu sein scheint. Wir erinnern uns an Jan Marsalek, der es bei Europol auf die Liste der meistgesuchten Verbrecher geschafft hat und wir erinnern uns an die Schauspieler, die er engagierte, um seine Lügen über das Asiengeschäft gegenüber den Sonderprüfern aufrechtzuerhalten. Über den früheren Chefbuchhalter Stephan von Erffa erfahren wir beispielsweise, dass dieser „mit seinem hundert Jahre alten Volvo“ zum Vergnügen gerne „vier bis fünf sportliche Drift-Runden auf dem Kreisverkehr vor dem Firmensitz“ in Aschheim drehte.

    Viel Zeit widmet Leogrande dem Oberbösewicht Markus Braun, dessen „eigenwilliger“ Mitarbeiterführung und seinen mitunter autistischen Verhaltenszügen. Nicht selten weckt „Bad Company“ Assoziationen an Szenen aus der Verfilmung des Skandalromans „American Psycho“ mit Christian Bale in der Hauptrolle. Die legendäre Visitenkarten-Szene (hier auf Youbube zu sehen) hätte vermutlich auch in der Wirecard-Vorstandsetage stattfinden können.

    Seltene Einblicke in die Machtstrukturen eines DAX-Konzerns

    Was im Film bei der fiktiven Firma „Pierce & Pierce“ Visitenkarten sind, das sind bei Wirecard die Ansprachen des Chefs auf den jährlichen Weihnachts- und Sommerpartys. "Wen wird Markus Braun in seiner launigen Rede erwähnen, die er vor der Eröffnung des Buffets hält“, fragt Leogrande. Zwar würden sich alle Vice Presidents und Heaf of sichtlich um Coolness bemühen, doch „jeder, der vom CEO kurz genannt wird, befindet sich im Zentrum der Macht“. Und Macht, so der Wirecard-Insider, „das ist Zugang, das ist Exklusivität, das ist Entscheidungsgewalt und das ist Kontrolle“. Eine Seite später erfahren wir, dass „Susanne und ich jetzt hochoffiziell ‚Batwoman and Robin‘ sind. So nennt uns Markus in seiner Rede bei der Sommerfeier des Jahres 2011 tatsächlich.“

    Und damit wären wir bei der großen Schwachstelle von „Bad Company“ angekommen. Zwar liefert das Buch Anekdoten am Fließband und reichlich Einblicke, die es vermutlich nirgendwo sonst zu lesen gibt, doch Leogrande versäumt es, seine eigene Rolle kritisch aufzuarbeiten. Der Wirecard-Insider war zuletzt „Chef der globalen Innovationsabteilung“, er berichtete über Jahre direkt an Markus Braun und arbeitete eng mit Jan Marsalek zusammen. Trotzdem klingt es bei ihm meistens so, als wäre er nur ein stiller Beobachter gewesen. Leogrande beschreibt zum Beispiel ausführlich exklusive Dinner-Partys, auf denen „endlos“ Trüffel gehobelt und Wagyu-Steaks serviert wurden. Nur selten gibt er zu, dass er lange Zeit Teil des Führungszirkels war – mit den entsprechenden Privilegien.

    Ein Beispiel finden wir auf Seite 168. Dort listet er die Vorzüge in der Business Class von Singapore Airlines auf (immer auf den Plätzen A und K auf den allein gestellten Sitzen an den Seitenwänden der Maschine). „Wenn ich ehrlich bin, gehört das auch für mich zu den besten Momenten meines Geschäftslebens. Auch deswegen bin ich dabei.“ So viel Aufrichtigkeit hätte man sich häufiger gewünscht. Problematisch ist vor allem die Frage, warum Leogrande so lange zu Wirecard gehalten hat – trotz der teilweise fremdenfeindlichen Sprüche, die er selbst beobachtet hat und in seinem Buch beschreibt, trotz der mit der Zeit immer größer werdenden Zweifeln über Wirecards-Bilanzen.

    Wenig Selbstkritik über die eigene Rolle bei Wirecard

    Der Autor stellt sich die Frage gleich mehrfach im Buch, macht es sich dann aber leider sehr einfach: „Die Wahrheit ist auch, dass meine diversen Versuche, die Wirecard zu verlassen, erfolglos geblieben sind.“ Immer wieder hätte er mit Headhuntern gesprochen, der passende Job sei aber nie dabei gewesen. „Immer war etwas“, schreibt Leogrande, womit zum Beispiel ein Umzug nach Frankfurt gemeint gewesen ist oder ein angeblich zu großes Team. 

    Das ganze Dilemma von „Bad Company“ (übrigens der Name einer englischen Rockband oder wahlweise auch ein Song auf dem selbstbetitelten Debütalbum aus dem Jahr 1974) wird eigentlich schon im Buchtitel deutlich, der von vielen deutschsprachigen Lesern falsch übersetzt wird, wie ein Blick auf die Amazon-Rezensionen beweist.

    Bad Company meint nämlich keine „böse Firma“, sondern steht für falschen Umgang oder eine schlechte Gesellschaft, in die man mehr oder weniger unverschuldet hineingeraten ist – gemeint sind also in erster Linie Braun und Marsalek. Musik-Liebhaber Leogrande hätte sich lieber für einen anderen Rockhit aus Großbritannien entscheiden sollen: „Sympathy for the Devil“ von den Rolling Stones. Die Steilvorlage für diesen Vorschlag liefert der Wirecard-Insider selbst: „Ich muss zugeben, dass mir der klare, unverfälschte und auch etwas wahnsinnig scheinende Optimismus meines CEOs imponiert“.

    Autor: Felix Rentzsch, wallstreet:online


    Jörn Leogrande: Bad Company. Meine denkwürdige Karriere bei der Wirecard AG.Penguin Verlag, München 2021, Hardcover 22 Euro




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