Buchtipp
Eine Geschichte des Kapitalismus
Werner Plumpe, Das kalte Herz. Kapitalismus: Die Geschichte einer andauernden Revolution, Rowohlt Verlag Berlin 2019, 800 Seiten.
Um es vorweg zu sagen: Dies ist ein ausgezeichnetes Buch, und jeder, der wissen will, wie der Kapitalismus entstanden ist und sich von seinen Anfängen bis heute entwickelt hat, sollte dieses Buch lesen. Der Kapitalismus entstand im 18. Jahrhundert, obwohl es zuvor schon zarte Anfänge dieser Art des Wirtschaftens gab. Die antikapitalistische Legende verklärt die Zeit vor Beginn des Kapitalismus. Erst vor wenigen Tagen las ich etwa in Sahra Wagenknechts neuem Buch, vor dem Kapitalismus hätten die Menschen zwar in „sicherlich entbehrungsreichen“ Verhältnissen gelebt, aber sie verklärt das „viel ruhigere, naturverbundene, in verlässliche Gemeinschaften integrierte Leben“, das angeblich im Vergleich zum Kapitalismus „geradezu eine Idylle“ gewesen sei. Opfer des Kapitalismus sind demnach vor allem die Armen. Plumpe zeigt, dass es genau umgekehrt ist: „Der Kapitalismus ist und war von Anfang an stets eine Ökonomie der armen Menschen und für arme Menschen (genauer der Unterschichten)“ (S. 639).
Die Legende von der guten, alten Zeit
Für die Unterschichten, so zeigt der Frankfurter Wirtschaftshistoriker, war der sich durchsetzende Kapitalismus Existenzbedingung und Entfaltungsraum zugleich, beides untrennbar verbunden mit der Ausübung von Lohnarbeit, die erst Existenz und Konsum ermöglichte, ja durch die erst die Güter hergestellt wurden, deren Konsum angestrebt wurde. „Das Bild, der Kapitalismus habe eine ältere, womöglich harmonischere Welt verdrängt oder ersetzt, ist im Kern daher unzutreffend.“ (S. 161)
Die neuen Gewerbe und Industrien, die im frühen Kapitalismus entstanden, schufen kein Proletariat; sie waren vielmehr möglich, weil es eine breite, zumeist ländliche Unterbeschäftigung gab. „Die Industrie machte, so könnte man zugespitzt formulieren, aus dieser Armut erst nach und nach eine Gruppe von Menschen, die die Bezeichnung ‚Industrieproletariat’ verdient. Diese Menschen waren auch nicht die Opfer einer skrupellosen Bauernlegerei… Die Industrie half vielmehr einer großen Zahl von Menschen, der strukturellen Unterbeschäftigung und Armut zu entkommen und als Industriearbeiterschaft zu überleben.“ (S. 149 f.)
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