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    GESAMT-ROUNDUP  136  0 Kommentare Bund muss beim Klimaschutz nachbessern - Koalition streitet

    KARLSRUHE/BERLIN (dpa-AFX) - Ein wegweisendes Urteil setzt die Politik beim Klimaschutz unter Druck. Das Bundesverfassungsgericht entschied am Donnerstag, dass die Bundesregierung das Klimaschutzgesetz nachbessern muss, um die Freiheitsrechte jüngerer Generationen zu schützen. Union und SPD gaben sich umgehend gegenseitig die Schuld für die Versäumnisse, kündigten aber eine rasche Reaktion an. Vor allem Klimaschützer sehen sich in ihrer Kritik an der Regierung bestätigt.

    Noch in diesem Sommer sollten Eckpunkte für ein verbessertes Klimaschutzgesetz vorgelegt werden, sagten Vizekanzler Olaf Scholz und Umweltministerin Svenja Schulze (beide SPD) nach dem Urteil aus Karlsruhe. Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) betonte: "Das müssen wir umsetzen."

    Die Karlsruher Richter verpflichteten den Gesetzgeber, bis Ende 2022 die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 genauer zu regeln. Damit waren Verfassungsbeschwerden mehrerer Klimaschützer zum Teil erfolgreich (Az.: u.a. 1 BvR 2656/18). Die teils noch sehr jungen Leute seien durch Regelungen in dem Gesetz in ihren Freiheitsrechten verletzt, erklärten die Richter. "Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030."

    Das Klimaschutzgesetz wurde Ende 2019 von Bundestag und Bundesrat verabschiedet. Es legt für die Jahre bis 2030 für einzelne Bereiche wie Verkehr, Landwirtschaft oder Gebäude fest, wie viel Treibhausgase sie in welchem Jahr ausstoßen dürfen. Das soll dazu beitragen, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad und möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, um die Folgen des Klimawandels so gering wie möglich zu halten.

    Schulze betonte, sie habe sich immer schon dafür eingesetzt, auf dem Weg hin zur Treibhausgasneutralität 2050 auch ein Zwischenziel für 2040 festzulegen. Das sei aber mit CDU und CSU "nicht machbar" gewesen. "Insofern ist das jetzt erst einmal gut, dass das Bundesverfassungsgericht sagt, da könnt ihr euch nicht wegducken, da müsst ihr klarer auch was vorgeben", sagte sie. Klimaneutralität bedeutet, nur noch so viele Treibhausgase auszustoßen, wie auch wieder gebunden werden können.

    Scholz warf vor allem Altmaier eine Blockadehaltung vor. "Immer blinken für große Klimaziele, aber niemals real handeln, sondern immer ganz hart auf der Bremse stehen" - dieses Politikprinzip sei jetzt gescheitert. "Jetzt muss wirklich gehandelt werden - und ich bin bereit das zu tun", kündigte der SPD-Kanzlerkandidat an.

    Auch Altmaier forderte mehr Tempo beim Klimaschutz. Der Weg zur bis 2050 angestrebten Klimaneutralität müsse nun unumkehrbar gemacht werden, sagte er und erinnerte an seine Vorschläge vom vergangenen September. Damals hatte er angeregt, dass Bundestag und Bundesrat eine Charta beschließen, die bis zur angestrebten Klimaneutralität 2050 jährliche Treibhausgas-Minderungsziele festlegt. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt regte nun einen früheren Kohleausstieg, mehr Tempo beim CO2-Emissionshandel und eine schnellere Umrüstung auf alternative Antriebe an, um bis 2030 mehr CO2 einzusparen.

    Auch die Grünen und die Klimabewegung fühlen sich durch das Urteil bestätigt. Grünen-Chefin Annalena Baerbock sprach von einer historischen Entscheidung. "Wir haben als politisch Verantwortliche die Aufgabe, nicht nur in kurzfristigen Zyklen zu denken, sondern Grundrechte langfristig zu garantieren", betonte sie. Bis Mitte dieses Jahrzehnts müssten jährlich doppelt so viel Erneuerbare Energien ausgebaut werden wie jetzt, Deutschland müsse schneller aus der Kohle aussteigen und ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos zulassen.

    Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner nannte das Urteil ein "vernichtendes Zeugnis für den Klimaschutz der Groko". Ähnlich äußerten sich Anhängerinnen der Fridays-for-Future-Bewegung. "Das Bundesverfassungsgericht bestätigt mit der Klimaklage, was die Naturwissenschaft seit Jahren zeigt: Aufschieben und unzureichende Klimaziele gefährden nicht nur die Natur, sondern unser Recht auf Leben und das Recht auf Zukunft", erklärte Aktivistin Line Niedeggen.

    Auch die Wirtschaft befürwortet langfristige Ziele. Das schaffe Planungssicherheit für die Unternehmen, neue Technologien zu entwickeln und massiv zu investieren, erklärte der BDI. Zugleich betonte der Industrie-Branchenverband: "Auch nach dem Urteil steht die Politik in der Pflicht, Instrumente vorzulegen, die es jedem Einzelnen ermöglichen, Ziele auch tatsächlich zu erreichen." FDP-Chef Christian Lindner sagte der "Heilbronner Stimme", die Politik müsse stärker "auf Ideenwettbewerb und einen Technologieschub" setzen.

    Nach Ansicht des Verfassungsgerichts wären nach 2030 immer dringendere und kurzfristigere Maßnahmen nötig, um das Klimaziel zu erreichen. "Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind", heißt es in der Erklärung des obersten deutschen Verfassungsgerichts. Der Gesetzgeber hätte Vorkehrungen treffen müssen, "um diese hohen Lasten abzumildern".

    Das Gericht bezieht sich auf Artikel 20a des Grundgesetzes. Darin heißt es: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung." Es dürfe nicht einer Generation zugestanden werden, große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen und nachfolgenden Generationen die dann nötige radikale Reduzierung zu überlassen, urteilten die Richter. Denn in dieser Generation könnten dann selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein./tam/DP/jha




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