Ernteausfälle in Brasilien
Jochen Stanzl über die Kaffeepreis-Rekordrallye: „Der perfekte Sturm“
Kaffeepreise sind zum Wochenstart in die Höhe geschossen – auf den höchsten Stand seit sieben Jahren. Auslöser ist eine Kältewelle im größten Anbauland Brasilien. Die Auswirkungen könnten noch jahrelang zu spüren sein.
Kaffeepflanzen sind extrem kälteempfindlich. Sollten Bäume neugepflanzt werden müssen, dauert es drei Jahre, bis sie eine Ernte abwerfen können. Laut Angaben der brasilianischen Behörden sind elf Prozent der Arabica-Anbauflächen des Landes betroffen – eine Fläche von bis zu 200.000 Hektar. Zum Ende der Woche soll eine weitere Kältefront über die Anbaugebiete hinwegziehen.
„Aus Brasilien kommen 40% der weltweiten Produktion an hochwertigem Arabica-Kaffee und wenn dort etwas schief geht, spürt man das sofort in den Preisen“, schreibt wallstreet:online Gastautor Jochen Stanzl, Chef-Marktanalyst bei CMC Markets. Allein Deutschland importiert jedes Jahr 300.000 Tonnen Kaffeebohnen aus Brasilien.
Auch eine Regeländerung einer US-Rohstoffbörse dürfte die Rallye befeuert haben, meint Stanzl, der von einem „perfekten Sturm“ spricht. „Außerdem hat die amerikanische Terminbörse ICE, an der die Kaffee-Arabica-Futures gehandelt werden, mit einer Verdopplung der Margenanforderungen auf die jüngste Volatilität reagiert. Das hat Leerverkäufer dazu gezwungen, Positionen glattzustellen.“
Innerhalb von einer Woche ist der Preis für Kaffee-Terminkontrakte für September 2021 um 30 Prozent gestiegen. Sorgen vor dem Wetter im weltgrößten Kaffeeproduzenten-Land Brasilien gibt es seit Monaten. Zusätzlich zu einer schweren Dürre Anfang des Jahres kam in den letzten Wochen der Frost im Bundesstaat Minas Gerais hinzu. Dort werden rund 70 Prozent der Arabica-Bohnen des Landes angebaut.
Die Entwicklungen am Future-Markt deuten darauf hin, dass Anleger auch für die nächsten Jahre eher magere Ernten erwarten. Schätzungen des Rohstoffhändlers ED&F Man zufolge könnten im Erntejahr 2022 zwischen 240 und 300 Millionen Kilo Kaffeebohnen verloren sein.
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Seit Januar liegt der Preis für Arabica-Kaffee rund 60 Prozent im Plus. Aus charttechnischer Sicht könnte sich bald schon zeigen, wie nachhaltig der Kaffee-Aufschwung ist. „Im Moment ist der Aufwärtstrend im Kaffee weiter intakt. Eine Trendwende ist nicht sichtbar. Wir nähern uns aber wichtigen technischen Marken, die als Widerstände fungieren könnten“, so Jochen Stanzl.
Auf die Preise im Einzelhandel wirken sich die Preisanstiege erfahrungsgemäß erst Monate später aus. Während der Corona-Pandemie konnte der Kaffeemarkt in Deutschland trotz geschlossener Cafés und Restaurants um 1,5 Prozent zulegen, meldet der Deutsche Kaffeeverband. Der Pro-Kopf- Verbrauch stieg 2020 auf 168 Liter.
Autor: Julian Schick, wallstreet-online Zentralredaktion