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    Nordstream 2  1801  0 Kommentare Warum sich Deutsche und Russen trotzt Sanktionen (noch?) verstehen

    Unterschiedliche Sichtweisen des Historikers und des Ökonomen

    Ein Ökonom analysiert anders als der Wirtschaftshistoriker primär Gesetzmäßigkeiten und Antriebskräfte und wird er auf der Zeitachse hin und her „springen“. Diese wird er in den 850 Jahre langen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und Deutschland - von der Eröffnung des Handelskontors durch die Kaufleute der Hansestaat Lübeck in Nowgorod in 1160 und bis Verhängung der neuen Wirtschaftssanktionen gegen Russland in 2014, - suchen, Der Historiker wird dagegen versuchen Perioden zu identifizieren und diese minutiös zu beschreiben. Es läuft dabei Gefahr den Leser durch die „Faktenmenge“ zu ermüden, weil sich ja bekanntlich die „Geschichte wiederholt“.

    Wiederkehrende ökonomischen Muster in der deutsch-russischen Zusammenarbeit

    1. Handelsstruktur wie seit Jahrhunderten? Waren gen Osten, Rohstoffe gen Westen.

    In der Fachliteratur finden wir, dass die Deutsche Hansa bereits im Mittelalter in die russischen Handelsmetropolen Nowgorod, Pleskau (Pskov) oder Polozk deutsches und flandrisches Tuch, Waffeln, Glas, Wein, Bier, Salz, Silber und Buntmetalle lieferte – Waren bei deren Herstellung technologisches Können notwendig war und die in der Wertschöpfungskette höher standen – und von dort vornehmlich Pelze und Wachs bezog. 

    Diese Handelsstruktur, Waren und Technologie gegen Rohstoffe hält weitgehend bis in die jüngste Vergangenheit an. Bezieht doch Deutschland - grob formuliert – heute Öl und Gas und liefert Maschinen und Technologie. Das darf nicht zum Trugschluss führen, die Russen seien damals wie heute technologisch rückständig, wie Westmedien und glauben lassen möchten. Auch Helmut Schmidt, kam die Sowjetunion „., wie Obervolta mit Atomraketen“ vor. 

    Die russischen Ressourcen reichen angesichts der massiven Rückständigkeit des Sowjetreiches auch heute nicht für alles aus. In Spezialbereichen gibt es Spitzenleistungen wie eben Raketen, in anderen Rückständigkeit (Obervolta).

    2. westliches Humankapital war und ist in Russland seit eh und je stark gefragt.

    Wer an russische Gelehrten und Konstrukteure von Weltrang denkt (Lomonosow, Mendelejew, Koroljow, Tupoljew, Kalaschnikow), bemerkt, dass es dem Land nicht an technischer Intelligenz mangelte. Ihm fehlen dagegen bis in die jüngste Zeit Unternehmerpersönlichkeiten, – Weltkonzerne wie die deutschen Adressen Bayer, Siemens oder Daimler hat das Ostland nicht aufbauen können – und oft selbst Farmer. Diese Lücke füllten oft die Westzuwanderer. Vielen ist die Ansiedlungsaktion der deutschstämmigen Zarin Katharina II in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bekannt. 

    Seit der Neuzeit zogen besonders Deutsche gen Osten. Die erste russische Industrialisierung (1860-1900) ist unzertrennlich mit dem Namen Sergej Witte verbunden. Deutsche bekleideten im 19. Jahrhundert hohe Positionen in der Verwaltung und im Militär. Der Gasprom-Chef heißt heute Aleksei Miller. Deutsche DAX-Konzerne welche in Russland Großaufträge abwickeln, nehmen oft eigene Belegschaften mit, weil es dort an Fachkräften mangelt. Das bewährte duale Ausbildungssystem ist in Russland unbekannt. 

    Oft geht es nicht nur um neue Technologie, sondern um effektives Kostensparen. Während seiner Dozententätigkeit an der Moskauer Akademie für Volkswirtschaft bemerkte der Autor, dass das Standardfach der BWL, die Kosten-und Leistungsrechnung nicht bekannt war. Es fiel mir auf, dass Consulter verschiedener Couleur versuchten, mit den Russen ins Gespräch zu kommen. Wer darüber mehr erfahren will, sei auf die Internetseiten und die Publikationen der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer http://russland.ahk.de/ hingewiesen.

    3. realwirtschaftlicher Warentausch dominiert, Finanzinvestitionen sind Randgeschäft.

    Bei den deutsch-russischen Handelbeziehungen war die Finanzierung niemals der limitierende Faktor, weil die Deutschen auch diese Finanzierung sicherstellten. So nahmen in Zeiten des Kalten Krieges (1950 -1990), in der Blütezeit des deutschen Osthandels, deutsche Manager, die nach Moskau zur Vertragsunterzeichnung reisten, stets zwei Koffer mit. In einem befanden sich die Handelsverträge im anderen die Kreditverträge. Die Bundesregierung bürgte damals wie heute im Rahmen der Exportversicherung für die Kredite. 

    Wer heute in Russland reine Finanzgeschäfte, so die angelsächsischen Adressen, betreiben will, hat einen schweren Standpunkt. Russland zeigt kein Interesse sich vom fremden Finanzkapital abhängig zu lassen. Der Staat besitzt über 600 Mrd. Devisen- und Goldreserven und Russland erzielt regelmäßig jährliche Außenhandelsüberschüsse von 100 Mrd. USD. Eine nennenswerte Aktienbörse existiert nicht, Konsumentenkredite lassen sich wegen der Rubelunsicherheit schlecht verkaufen und weder ausländische Banken noch Fonds – hier auf keinen Fall die vor einer Dekade „verjagten“ Hedgefonds – werden im Land Fuß fassen. Wer sich realwirtschaftlich bindet, denkt, anders als der renditeorienteierte Finanzinvestor, an das langfristige Geschäft. 

    4. Gab es Handelsstörungen gab, so meistens durch Dritte.

    Die florierenden Wirtschaftsbeziehungen stießen in der Außenwelt und bei den Nachbarn nicht gerade auf Bewunderer, sondern auf Neider. Früher waren es die Handelskonkurrenten (Engländer, Holländer), heute Staaten, die mit Russland Dauerkonflikte austragen (Ukraine, Polen, USA). So wurde damals wie heute der Löwenteil über die Ostsee abgewickelt, weil Transitwege gestört wurden. Die Feindseligkeit gegenüber dem, durch Ex-Kanzler Schröder initiierten, Nordstream 2 liefert hier das Paradebeispiel. Während Dritte und in jüngster Zeit auch leistungsferne linke Kräfte im Inland und die Politik versuchen, sich einzumischen, versuchen sich Russen und Deutsche trotz des Erbes der beiden Weltkriege, nicht beirren zu lassen. Es ist kein Geheimnis, dass die EU-Europäer und die USA eine starke Deutschland-Russland-Allianz nicht wünschen, so wie sie ängstlich auf die sich bildende Allianz Russlands und China schielen. Das nennt man Geopolitik.

    5. Russen sind lernwillig und schätz(t)en das deutsche Know-how

    Russen und Deutschen schätzen sich nach wie vor und verstehen einander- auch wenn unsere Medien das verschweigen. Die Russen sind lernwillig (!) ohne sich dabei selber zu klein zu machen. Ganz anders als die Angelsachsen, die in ihrer Lieblingsdisziplin Investment Banking nur tricksten, den „dummen unterentwickelten Europäern“ Finanzmodelle aufschwätzten, die im Endeffekt ihnen stets eine riesige Wertvernichtung bescherte. Die Russen haben kein Problem die (noch?) überlegene deutsche Wirtschaftsleistung zu akzeptieren und versuchen daraus Vorteile für sich zu ziehen. 

    Geschichteliebhabern ist in diesem Kontext der Roman von Ivan Gontscharow „Oblomow“ zu empfehlen. In diesem wurde bereits vor 150 Jahren die unterschiedlichen menschlichen Stereotypen des geschäftstüchtigen Deutschen Scholz und seines apathischen, leistungsaffinen russischen Freundes, des Gutsherrn Oblomow, plastisch beschrieben. Die Russen glaubten lange Zeit, dass die Deutschen ihnen am ehesten beim Anschluss an Europa helfen werden. Sie klauen keine Technologie wie die Chinesen und fürchten nicht sich auf den Weltmärkten irgendwann mit den Teutonen in Konkurrenten zu treten, da beide Länder sich wirtschaftlich zu unterschiedlich spezialisieren. Die Lernwilligkeit hat eine lange Geschichte. Kein geringerer als der große Reformer Russlands Zar Peter I reiste Ende des 17. Jahrhunderts inkognito nach Westeuropa um in Deutschland und Holland Schiffsbau zu studieren.

    Ausblick

    Es bleibt strittig, ob die „neue Eiszeit“ die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen zerstört. Einerseits könnte das auch wirtschaftlich wiedererstarkte Russland die Lust an ihnen verlieren, weil es sich Richtung China und Emerging Markets (Türkei, Iran, Lateinamerika, BRICS) umorientiert. Optimisten glauben andererseits es wird „nicht so heißt gegessen wie gekocht“. So mutiert das wiederkehrende Ritual mit den wirkungslosen Wirtschaftssanktionen langsam zur Farce und die deutschen Finanzinvestitionen erreichten allein in 2018 mit 2 Mrd. € ein Rekordniveau. https://russische-botschaft.ru/de/2019/03/14/deutsche-firmen-investieren-kraeftig-in-russland/. Die Handlungsmaxime heißt abwarten und sich  positionieren. Auch Nordstream 2 wird beendet. Zudem entsteht für Deutschland kein nennenswerter „makroökonomischer Schaden“. Die Leidtragenden bleiben leider bestimmte Regionen sowie bestimmte kleine und mittelgroße Maschinenbauer. Diese besitzen in der Regel genügend Eigenkapital um solche Durststrecken zu überstehen. 

    Autor: Dr. Viktor Heese – Finanzanalyst und Fachbuchautor www.prawda24.com + www.finanzer.eu
     





    Dr. Viktor Heese
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    Dr. Viktor Heese ist promovierter Volkswirt und war bis 2010 dreißig Jahre bei verschiedenen Großbanken im Wertpapierresearch tätig. Heese spezialisierte sich auf Versicherungs- und Bankaktien sowie Kapitalmarktanalyse. 2010-2013 leitete er das Deutsch-Russische-Zentrum- für Wirtschaftsforschung und deutsches MBA in Moskau. Seit 2014 ist er als Fachbuchautor und Publizist freiberuflich tätig und bietet Fachseminare zu Börsen- und Bankthemen an. Er ist Herausgeber des Anleihen-Börsenbriefes „Der Zinsdetektiv“
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    Verfasst von Dr. Viktor Heese
    Nordstream 2 Warum sich Deutsche und Russen trotzt Sanktionen (noch?) verstehen Trotz der permanenten Feindseligkeit seitens des Westens bleiben die Russen, die finanziell auf die Einnahmen aus den Rohstoffexporten in diese Region nicht angewiesen sind (Stichworte: Ausweichmarkt China, permanente Außenhandelsüberschüsse, steigende Devisenreserven) an konstruktiven Wirtschaftsbeziehungen insbesondere mit Deutschland interessiert. Ein Grund dafür könnten die Jahrhunderte lange fruchtbaren Beziehungen sein.