Marktkommentar
Felix Herrmann (ARAMEA): Niedrige Lagerbestände & hohe Zinsen?
Bibbern musste man seit Ende dieses Sommers noch nicht. Dennoch sind die Gaspreise in Europa auf neue Rekordhöhen geklettert.
22.10.2021 - Der Blick auf den Kalender zeigt: Es ist noch lange nicht Winter. Die Temperaturen sind zwar bei weitem nicht mehr in den Sphären unterwegs, die das Tragen von kurzen Hosen zu einem
uneingeschränkt komfortablen Erlebnis machen. Bibbern musste man jedoch bislang seit Ende dieses Sommers aber auch noch nicht. Und dennoch sind die Gaspreise in Europa sind seit Jahresbeginn
bereits jetzt um sage und schreibe knapp 500% angestiegen und auf neue Rekordhöhen geklettert.
Ursächlich für diesen historischen Preisanstieg ist gleich an ganzer Strauß an Dingen. Kurzfristig spielen beispielsweise die erlebten Dürren eine Rolle. Länder wie China oder Brasilien produzieren
für gewöhnlich viel Strom aus Wasserkraft, mussten nun jedoch auf Gas als Energiequelle ausweichen, um keinen Shutdown ihrer Industrien zu erleben. Die Nachfrage auf den zwar fragmentierten aber
dennoch interdependenten globalen Gasmärkten ist somit bereits seit einiger Zeit ungewöhnlich hoch. In Europa und ganz besonders in Deutschland kommen weitere Sondereffekte hinzu, die Engpässe
begünstigten. So hat insbesondere Russland in den letzten Monaten weitaus weniger Gas geliefert, als es hätte können. Wegen planmäßiger Wartungsarbeiten fielen zudem zeitweise wichtige
Gas-Transportwege nach Deutschland weg. Massive Unterinvestitionen in die Förderstätten von Gas sorgen zusätzlich dafür, dass ganz generell in den kommenden Jahren eine strukturelle
Angebotsknappheit droht, die Anlegern und Verbrauchern selbstredend auch im Kopf herumschwirrt.
Die Angebotsknappheit am Gasmarkt und die exorbitante Preisentwicklung treiben derweil skurrile Blüten. So weichen aktuell z.B. viele Verbraucher von Gas auf Öl aus. Saudi Aramco schätzt, dass
aufgrund von Ausweicheffekten die Nachfrage nach Öl derzeit um 500.000 Fässer pro Tag höher liegt.
In den kommenden Monaten dürfte sich die Lage am Gasmarkt nicht entspannen. Im Gegenteil. Angesichts relativ niedriger Lagerbestände zeichnet sich in Europa – insbesondere im Falle eines besonders kalten Winters – eine noch dramatischere Gas-Knappheit ab. Zum aktuellen Zeitpunkt sind die Lager in Europa signifikant leerer als zum gleichen Zeitpunkt in den Vorjahren.
Für die Inflationsentwicklung bis Jahresende verheißt diese Entwicklung aus Sicht der Zentralbanken und Rentenmarktinvestoren nichts Gutes. Schließlich könnte sich der Druck erhöhen, die
Geldpolitik schneller zu straffen als geplant. Mit anderen Worten: Die Energiepreise dürften bis auf weiteres einer der – wenn nicht der maßgebliche ökonomische Indikator für die Finanzmärkte
sein.
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