Die vollständige Kommerzialisierung der Welt
Wie fing das eigentlich alles mit dem Internet einmal an? Und dem Fernsehen?
Am letzten Wochenende wollte ich mir gerne die Bergetappe des Giro d´Italia anschauen, in der es über die Bergpässe ging, wo ich früher so oft zum Skilaufen war, am Pordoi-Pass und unterhalb der Marmolada.
Doch Eurosport übertrug die letzte Woche nicht mehr im Free-TV. Nun gut, heute muss man eben für alles bezahlen, das verstehe ich auch. So ist das Leben.
Dann schaue ich mir eben nur die Landkarte an, sage ich mir, denn die Tret-Idioten auf den Rennmaschinen interessieren mich ja eigentlich gar nicht mehr so sehr. Nur die Landschaft.
Doch großer Gott, was da auf einmal alles in die Landkarte eingeblendet wird, wo es Tankstellen gibt, wo Geldautomaten, ausgewählte Restaurants und Hotels. Dabei wollte ich doch nur die Landschaft ansehen.
Letztlich schaffe ich es jedoch, die Werbung von der Landkarte zu verbannen. In diesem Moment habe ich dann aber plötzlich einen Flashback in meinem Kopf, wie das damals alles einmal begonnen hat mit dem Internet.
Da ging es um freie Informationen, um freien Gedankenaustausch und nicht um Geld. Dabei habe ich gar nichts dagegen, ich bin ja kein Sozialist und weiß, dass eine Zeitung nur dann guten Journalismus bieten kann, wenn sie auch das Geld dafür einspielt, gute Leute zu bezahlen.
Ich habe daher nichts gegen die Kommerzialisierung des Internets. Ich liebe es ja auch, mir Bücher, CDs und DVDs über das Internet zu bestellen, weil ich ja noch zu den Leuten gehöre, ich etwas zum Anfassen brauchen und noch nicht ganz virtuell bin.
Doch nimmt das mit der plötzlich überall im Netz aufploppenden Werbung nicht langsam Ausmaße an, die unsere Welt stärker verändern als der Klimawandel?
Natürlich hat schon immer das Geld die Welt regiert, auch vor fünfzig Jahren, als ich eine Junge war, ist das im Prinzip nicht anders gewesen. Doch wie oft sind wir vor fünfzig Jahren mit einem Kaufreiz konfrontiert worden und wie oft geschieht das heute?
Ich würde mal tippen, vor fünfzig Jahren war das vielleicht ein oder zwei Mal am Tag, heute hingegen ist es sicher ein bis zwei Mal die Minute. Die Kaufreize hätten sich damit etwa vertausendfacht, wenn ich die Schlafzeit herausrechne, die es ja bei manchen Menschen noch geben soll.
Die Kaufreize haben sich in den letzten fünfzig Jahren also um den Faktor 1000 gesteigert, das BIP hingegen nur um etwa den Faktor 7. Die Wirkung der Droge scheint also nicht übermäßig zu sein, wir müssen daher die Dosis steigern.
Wenn ich jetzt einmal fünfzig Jahre zurückblicke, dann ist die aktuelle Gegenwart eigentlich überhaupt nicht zu begreifen. Wer heute jung ist und damit aufgewachsen ist, dass das Kaufen von Leistungen und Dingen das heutige Leben beherrscht, wird sich überhaupt nicht vorstellen können, dass das vor fünfzig Jahren nicht so gewesen ist.
Damals gab es tatsächlich Tage, an denen wir kein Geld ausgegeben haben. Und mein Großvater ist sogar immer im Dunkeln die Treppe hinunter gegangen, um Strom zu sparen.
Damals haben wir gelernt, das Licht auszumachen, wenn wir das Zimmer verlassen haben. Die heutigen Wohnungen sind dagegen alle durchweg hell erleuchtet. Und in vielen Familien sind die Kinder mit Anfang zwanzig bereits mehr Flugzeug geflogen als die ältere Generation der gesamten Familie zusammengefasst in ihrem gesamten Leben.
Die Wirtschaft frohlockt, doch gut geht es uns dabei nicht, oder? Mit der Generation meiner Großeltern hätte es auf jeden Fall keine Klimaveränderung gegeben, und die wussten auch noch, dass Geld und Geldausgeben nicht glücklich machen.
Aber der Fortschritt ist eben nicht aufzuhalten. Die Autos von heute sind um ein Vielfaches schwerer als die von damals und beinhalten sicherlich das Hundertfache an Plastik, vom Blech und Stahl ganz zu schweigen.
Das alles muss produziert werden, soll jetzt aber bald nicht mehr der Umwelt schaden. Wenn ich das höre und dann die Autos dazu sehe, denke ich immer an einen schlechten Witz. Wir befinden uns in einem kollektiven Rausch, doch plötzlich ist in der Spritze keine Droge mehr, sondern Hühnersuppe. Wie soll das gehen?
Zum Fortschritt gehört natürlich auch, dass es heute überall Atombomben gibt, bei den Russen und sogar in unseren Finanzsystemen. Und der Versuch, sie und den Rest des Neuen Lebens wieder einzufangen, erinnert eher an Goethes „Der Zauberlehrling“ als an die heutige Politik.
„Die ich rief, die Geister, werd´ ich nun nicht los.“ Vielleicht ist das der treffendste Satz, den es überhaupt über die Menschheit gibt. Leider jedoch gibt es den Meister, der im „Zauberlehrling“ die Situation rettet, in der Wirklichkeit nicht.
Bernd Niquet
berndniquet@t-online.de