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    Marktkommentar  159  0 Kommentare Bruno Cavalier (ODDO BHF): Wie hoch werden die Zinsen noch steigen?

    Diverse Faktoren sprechen für eine sinkende Inflation in 2023, aber eine Rückkehr zum Zielwert von 2% bleibt vorerst fraglich. 

    17.11.2022 -

    • Die Zentralbanken hüten sich vor Aussagen zum Ende ihres Straffungszyklus (vermutlich wissen sie es selbst noch nicht).
    • An den Märkten werden die Prognosen zum Zinshöhepunkt kontinuierlich nach oben korrigiert.
    • Diverse Faktoren sprechen für eine sinkende Inflation in 2023, aber eine Rückkehr zum Zielwert von 2% bleibt vorerst fraglich. 
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    2022 dürfte als das Jahr mit einem seit einer Generation nicht erlebten weltweiten Anleihecrash in die Geschichte eingehen.  Beim Crash im Jahr 1994 befanden sich die Zinssätze auf einem höheren Niveau als heute, aber Ausmaß und Geschwindigkeit der Kurskorrektur waren weniger stark. Zur Veranschaulichung: Die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen in den G7-Ländern (ohne Japan) stiegen 1994 um 200 Basispunkte. Dieses Jahr haben sie bereits um 280 Basispunkte zugelegt, und das Jahr ist noch nicht zu Ende. Der Anleihecrash von 2022 richtet umso mehr Schaden an, weil er nach einem Jahrzehnt fallender Zinsen – als Folge der Finanzkrise im Jahr 2008 und der Corona-Pandemie 2020 – und für einige Länder nach einer Periode negativer Zinsen kommt. Anleger hatten ganz vergessen, dass Zinsen so schnell steigen können. Ist ein Ende dieser Korrektur in Sicht?

    Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir die drei wichtigsten Parameter betrachten, die Aussagen zur Richtung der langfristigen Zinsen ermöglichen: der geldpolitische Kurs, die Wachstums- und Inflationsaussichten sowie die mit der Fiskalpolitik verbundene Risikoprämie. Werfen wir nun einen Blick auf die aktuelle Lage.

    Die jüngsten Entscheidungen der großen Zentralbanken haben bestätigt, dass ultrarestriktiven Maßnahmen der Vorzug gegeben wird.  Die Fed, die Bank of England und die EZB erhöhten ihren Leitzins um jeweils 75 Basispunkte. Seit Beginn des Straffungszyklus haben sie ihren Leitzins bereits um 375, 290 bzw. 200 Basispunkte angehoben. Überall signalisieren Zentralbanker, dass weitere Anstiege folgen werden. Zwar scheuen sie sich, konkrete Aussagen zum Ende des Zyklus zu machen, erteilen aber Hoffnungen auf eine kurzfristige Lockerung unmissverständlich eine Absage. Die Märkte gehen daher von weiter steigenden Zinsniveaus aus. Zuletzt erwarteten sie als Höchstsatz bei der Fed etwas über 5%, bei der Bank of England 4,5% und bei der EZB 3% (siehe Grafik). 

    Je näher die Zinssätze diesen Niveaus kommen, desto wahrscheinlicher ist es, dass die nächsten Zinserhöhungen in langsamerer Schlagzahl erfolgen werden.  Zu Beginn des Straffungszyklus gingen die Zentralbanken besonders aggressiv vor, um verschenkte Zeit wieder gut zu machen und ihre Fehler bei der Inflationsprognose zu korrigieren. Dies ist in dieser Form nicht länger notwendig.

    Die Inflation ist zwar noch nicht besiegt, aber die Entschlossenheit der Zentralbanken, die Preisstabilität wiederherzustellen, wie ihr Mandat verlangt, wird nicht länger angezweifelt. So sind sie bereit, Nachfrage und Beschäftigung zu „opfern“, um den Preis- und Lohndruck zu verringern. Alles in allem treibt der geldpolitische Kurs die Langfristzinsen weiter nach oben.

    Neben der Geldpolitik sollen Zinssätze die Entwicklung des nominalen Wirtschaftswachstums – also der Steigerung der Wirtschaftsleistung unter Berücksichtigung der Preisentwicklung -  widerspiegeln. In Bezug auf die Geschäftsaussichten weisen die Erwartungen weiterhin nach unten.  Der Konsens rechnet derzeit für 2023 mit einem durchschnittlichen realen BIP-Wachstum von etwa 0,5% in den USA (-2 Prozentpunkte im Vergleich zu Januar), 0% in der Eurozone (-2,5 Punkte) und 4,8% in China (-0,5 Punkte). In allen Fällen liegt die Wachstumsdynamik deutlich unter dem Potenzial.

    Hinsichtlich der Preisentwicklung wird allgemein davon ausgegangen, dass die Inflationsraten 2023 stark zurückgehen werden, nachdem sie dieses Jahr in den meisten Industrieländern historische Höchststände von rund 10% erreicht haben.  Es mehren sich die Faktoren, die auf eine abnehmende Inflation hindeuten. Hierzu zählen etwa der Rückgang der weltweiten Lieferengpässe, die rückläufige Nachfrage nach Industriegütern, der Wegfall der Corona-Maßnahmen, die sinkenden Preise für viele Rohstoffe und vor allem die negativen Auswirkungen auf die Realeinkommen. Was zu einem Disinflationsszenario, insbesondere in den USA, noch fehlt, ist die Zurückhaltung bei Löhnen und Gehältern. 2022 fielen die Inflationsraten immer wieder überraschend höher als erwartet aus und nährten die Vorstellung, es drohe ein Paradigmenwechsel und eine galoppierende Inflation wie in den 1970er Jahren. Auch dies trug zum raschen Anstieg der langfristigen Zinssätze bei. Umgekehrt würde es kaum verwundern, wenn die Überraschungen 2023 in die andere Richtung gehen würden, was  das Narrativ vom Inflationsschock verändern würde.

    Vor einigen Wochen wurden britische Staatsanleihen von den Märkten mit einer außergewöhnlich hohen Risikoprämie abgestraft. Auslöser war die Sorge vor einem überbordenden, nicht länger tragbaren Haushaltsdefizit. Der durch diese Episode verursachte Schaden konnte inzwischen weitgehend behoben werden. Der Preis war allerdings eine komplette Kehrtwende in der Fiskalpolitik. Steigende Zinsen verteuern den Schuldendienst eines Staates und das gerade zu einem Zeitpunkt, wo die Zentralbanken ihre Programme zum Ankauf von Vermögenswerten einstellen oder zurückfahren.  In einem solchen Umfeld muss die Haushaltspolitik unbedingt vermeiden, auch nur den geringsten Zweifel an der Tragfähigkeit des Staatshaushalts aufkommen zu lassen, da sonst die Gefahr besteht, dass die Zinsen noch weiter steigen. Die jüngsten Ereignisse in Großbritannien sollten allen anderen Regierungen als Negativbeispiel dienen, sowohl jenen mit sehr hoher Verschuldung (Italien) als auch jenen, deren Haushaltspolitik zuweilen ein Spielball parteipolitischer Differenzen ist (USA).





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