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     2253  0 Kommentare Was die Börse wirklich bewegt

    Der Glaube beherrscht die Tatsachen

    Liebe Leser, ich danke sehr herzlich für das nette Feedback zu meiner Kolumne über den Tod des Papstes von letztem Montag, den 4.4. Ich finde auch, dass es eine meiner gelungensten war – auf jeden Fall eine der moralisch ergreifendsten. Doch nun sollten wir aus dem Reich der Moral wieder in das Reich der Wirklichkeit zurückkehren. Für den Papst beinhaltet das eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte lautet: Er wird keinen Eingang in die Himmelspforte finden, weil es gar keine Himmelpforte gibt. Und die gute lautet: Das wird ihn nicht bedrücken. Er merkt davon nämlich nichts, weil er ja tot ist.

    Jetzt lassen Sie das bitte einmal einen Moment stehen, liebe Leser. Gehöre ich jetzt nicht eigentlich auf den Scheiterhaufen? Lassen Sie es noch einen Moment stehen – und lassen Sie an ihrem inneren Auge vorbeiziehen, was sich derzeit in Rom abspielt. Und dann können wir sogleich an die Börse zurückkehren.

    Und was sehen wir jetzt? Auch an der Börse läuft das Geschehen letztlich nicht anders ab als in der Religion. Es gibt tief verwurzelte, fast schon im Unterbewusstsein festgesetzte Glaubensinhalte, denen ein überwiegender Teil der Menschen bedingungslos huldigt. Überprüfen lassen sich diese Glaubensinhalte nicht. In der Religion nicht, weil sie im Jenseits liegen. Und an der Börse nicht, weil das menschliche Handeln nicht unabhängig vom Glauben analysiert werden kann.

    Immanuel Kant hat überzeugend aufgezeigt, dass man das Dasein Gottes genauso folgerichtig beweisen kann wie den entgegengesetzten Fall, nämlich dessen Nichtexistenz. Kants Schluss daraus lautete: „Ich musste das Wissen aufheben, um für den Glauben Platz zu schaffen.“ Jahrhunderte haben wir seitdem für Demokratie und Selbstverantwortung gekämpft, doch alles sieht so aus, als ob gerade im Zeitalter der maximalen Aufgeklärtheit und der Herrschaft des vermeintlich so nüchternen Geldes die alten Prinzipien weiterhin die Herrschaft über uns behalten haben.

    berndniquet@t-online.de


    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Was die Börse wirklich bewegt Der Glaube beherrscht die Tatsachen Liebe Leser, ich danke sehr herzlich für das nette Feedback zu meiner Kolumne über den Tod des Papstes von letztem Montag, den 4.4. Ich finde auch, dass es eine meiner gelungensten war – auf jeden Fall eine …