checkAd

     4734  0 Kommentare Das Ende ist nahe!

    Man hört es mittlerweile fast an jeder Ecke, im Bahnhofs-Pissoir ebenso wie in der semi-akademischen Vortragsveranstaltung: Unser Papiergeld soll es nicht mehr lange machen. Die Basis sei erodiert, es gebe viel zu viel davon und überhaupt deute der Goldpreisanstieg unentrinnbar auf das bevorstehende Ende.

    Ach ja, das Ende. Letzte Hoffnung für so viele Verzweifelte dieser Erde. Und wer keine echten Sorgen hat, der macht sich eben welche. Man könnte sich ja gegen das wirkliche Elend dieser Welt engagieren, aber nein, wie viel bequemer ist es da, vom heimischen Herd aus den Untergang unserer Welt zu proklamieren. Da muss man nicht schuften, schwitzen und bangen, da ist es warm und gemütlich – und man ist überdies wie der Pfarrer stets auf der richtigen Seite. Denn das, was vollmundig angekündigt wird, passiert natürlich nicht heute. Auch noch nicht morgen. Sondern wahrscheinlich erst übermorgen. Doch sehet die Zeichen, wie bedrohlich und wie schrecklich. Ach ja, das Ende. My only friend – the end. Wie wunderbar, der eigenen Neurose zu frönen und dabei in selbstgerechter Weise an der Ungerechtigkeit der Welt und der Dummheit der Mitmenschen zu Grunde zu gehen.

    Unbeachtet bleibt in dieser Geisteshaltung jedoch ein theoretischer und ein empirischer Defekt. Theoretisch wird verkannt, dass die Theorie, nach der die Menge umlaufenden Geldes eine entscheidende Größe sei, wissenschaftlich mittlerweile etwa den gleichen Rang bekleidet wie diejenige, nach der die Onanie zu Rückgratsverkrümmung führt. Welches im Übrigen eine derjenigen Theorien ist, die empirisch am besten bestätigt ist. Man schaue sich dazu nur die Statistiken der sprunghaft ansteigenden Rückleiden sowie die parallel dazu beinahe ausufernden Singlebörsen im Internet und sonstigen Zahlen zur individuellen Vereinzelung einmal genau an.

    Dabei hat die Onanie-Theorie noch eine weit höhere Plausibilität als die Geldmengentheorie. Denn wer keinen Sexpartner hat, der merkt das. Und erfährt es nicht erst aus der Zeitung. Geldmengenvergrößerungen sind hingegen für den Einzelnen unmerkbar – und können daher auch eine Wirkung haben.

    Bleibt der empirische Defekt. Selbst wenn die These stimmen würde, dass „überschüssiges“ Geld anlagesuchend auf Werterhaltungsreise durch die Finanzmärkte vagabundiere, so denke ich, sprechen die Märkte hier eine deutliche Sprache pro Investment in ertragsstarken Wirtschaftengagements, also Aktien, und contra archaische Wertaufbewahrungsmittel wie Edelmetalle. Aktien sind deutlich stärker gestiegen, in Euro gerechnet sogar um ein Vielfaches.

    Was für ein Paradox ist das auch für die Goldverfechter, dass sie gleichzeitig stets in dem von ihnen als weltweit schlechtester Währung apostrophierten Dollar anlegen müssen. Manchmal ist die Geschichte wirklich eine augenzwinkernde Angelegenheit.

    Gold mag also für den in Internetforen herumzockelnden Kleinsparer mit seinen fünf Krügerrands ein Investment sein, für denjenigen, der wirkliches Vermögen hat, ist es jedoch keine Alternative. Denn Menschen sind keine Schnecken, die Hunderte von Kilos in Notzeiten stets mit sich herum tragen könnten. Darunter würden sie nämlich zerbrechen.


    Bernd Niquet
    0 Follower
    Autor folgen
    Mehr anzeigen
    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

    Mehr anzeigen
    Verfasst von Bernd Niquet
    Das Ende ist nahe! Man hört es mittlerweile fast an jeder Ecke, im Bahnhofs-Pissoir ebenso wie in der semi-akademischen Vortragsveranstaltung: Unser Papiergeld soll es nicht mehr lange machen. Die Basis sei erodiert, es gebe viel zu viel davon und überhaupt deute …