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     2347  0 Kommentare Also doch Gold?

    Ein sehr persönlicher Bekehrungsversuch

    Über das Osterfest hatte ich ein religiöses Erlebnis. Es ist sehr diesseitig und heutig, und es ist dennoch an Ewigkeit und wirklichem Wert orientiert. Doch wie immer muss dazu ein gehöriger Umweg gegangen werden. Als Jim Morrison in Paris starb, war ich gerade fünfzehn geworden. Jim Morrison sah aus wie Jesus Christus. Kaum etwas hat mein Leben damals mehr geprägt. Keine Erinnerungen sind intensiver. Und jetzt, weit mehr als zweitausend Jahre nachdem Christus an das Kreuz genagelt wurde, kommen seine Mitstreiter mit einem neuen Sänger, der ihm sehr gleicht, in unsere Konzerthallen. Konzerthallen sind wie Kirchen.

    Ich bin hin und hergerissen. Eigentlich darf man so etwas nicht machen, denke ich. Das ist Gotteslästerung. Ein Mummenschanz. Zwar kommen die Erinnerungen hoch, und das ist gut, doch das Wahre wird entehrt, das Wirkliche wird überlagert. Ein absurdes Theater. Ein Musical. Den tumben Massen zum Amüsement und als Inhalt. Egal, ob den Bierbecher in der Hand oder die Oblate im Mund. Into this world we´re thrown …

    Ich erinnere mich plötzlich an meine Zeit als Autogrammsammler. Damals hatte selbst ein von einem Star persönlich gemalter Strich für mich mehr Wert als tausend gedruckte Autogrammkarten, denn das ist etwas Echtes und Authentisches. Und plötzlich fügt sich beides ineinander: Nur das Authentische, nur das Echte hat einen Wert. Alles Gedruckte und Reproduzierte hingegen ist beliebig. Beliebig vervielfältigbar und folglich ohne Wert.

    Jeder Mensch verfügt über Wertvolles: über seine Erinnerungen, das von ihm Erarbeitete und sein Umfeld. Das gilt es abzuschotten und zu sichern, denn draußen, in der Welt außerhalb dieses Zirkels, schwirren nur billige Imitate und Tand herum. Das Wichtigste im Leben ist es, das Irrelevante, Billige und Willkürliche aus dem eigenen Leben heraus zu halten, denn es hat mit wirklichem Wert nichts zu tun. Wirklicher Wert charakterisiert sich durch Zeitlosigkeit. Er bleibt erhalten auch über die Zeit. Der Mist hingegen verfault schnell, Schmeißfliegen leben oft nicht länger als wenige Tage.

    Und während der religiösen Andacht, der Musik in der Konzerthalle, diesem ganzen billigen Abklatsch, der mich immer nur vom Wesentlichen wegbringt, denke ich, ob das nicht auch eine Metapher für das Leben von uns allen ist. Der billige Dreck quillt aus allen Ritzen. Heute das und morgen wieder etwas Neues. Hauptsache, das Rad dreht sich weiter. Hauptsache, die Zeit wird ausgefüllt. Doch ausfüllen lässt sich die Zeit nur mit jeweils Zeitgemäßem und folglich Vergehendem. Das Zeitlose hat mit all dem überhaupt nichts zu tun.

    Und seit dem vergangenen Osterfest denke ich, ob ich das nicht auch als Investor stärker beachten sollte. Denn der Charakter des Menschen ist durchgängig. Man kann nicht auf der einen Seite schwer und auf der anderen leichtfüßig sein. Und sollte man es doch sein, so ist man dazu verdammt, andauernd im Kreis zu laufen. Das ist nicht schön, doch die Alternativen sind auch nicht unbedingt anziehend: Ist man sogar doppelt zu leicht, weht einen der erste Luftzug bereits weg. Ist man hingegen nur schwer, bleibt man bestehen, allerdings auch völlig unbeweglich.

    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Also doch Gold? Ein sehr persönlicher Bekehrungsversuch Über das Osterfest hatte ich ein religiöses Erlebnis. Es ist sehr diesseitig und heutig, und es ist dennoch an Ewigkeit und wirklichem Wert orientiert. Doch wie immer muss dazu ein gehöriger Umweg …