Macht Gleichheit glücklich?
Eine Studie kommt zu überraschenden Ergebnissen.
Die amerikanischen Soziologen Jonathan Kelley und Mariah D.R. Evans vom International Survey Center Reno, Nevada, sind der Frage nachgegangen, ob Gleichheit glücklich macht.
Die Datenbasis war ungewöhnlich umfangreich und enthielt 169 repräsentative Stichproben aus 68 Nationen, in denen 211.578 Menschen befragt wurden.
Dabei wurde einerseits auf etablierte Fragestellungen der sogenannten Glücksforschung zurückgegriffen. Die Menschen wurden u. a. gefragt: „Wie zufrieden sind Sie heute alles in allem mit Ihrem Leben?“ Die Befragten konnten auf einer Skala von 1 (unzufrieden) bis 10 (zufrieden) antworten. Zudem wurde gefragt: „Alles in allem, würden Sie sagen, Sie sind: sehr glücklich, ziemlich glücklich, nicht sehr glücklich, überhaupt nicht glücklich?“
Die Ergebnisse dieser Befragungen wurden in Beziehung gesetzt zum Grad der Einkommensungleichheit in den Ländern. Diese Ungleichheit wird mit dem sogenannten Gini-Index gemessen. Der Gini-Index, entwickelt vom italienischen Statistiker Corrado Gini, misst, welche Einkommensanteile die verschiedenen Gruppen der Bevölkerung erhalten und wie gleichmäßig diese in der Gesellschaft verteilt sind. Bei einer gleichmäßigen Verteilung liegt er bei null, und bei eins, wenn eine Person das gesamte Einkommen erhält und damit die größtmögliche Ungleichverteilung vorliegt.
Die Studie von Kelley und Evans war methodisch sehr anspruchsvoll, denn die Wissenschaftler hielten alle anderen Faktoren in ihren mathematischen Berechnungen konstant, die sonst Einfluss auf das Glücksempfinden haben (Alter, Familienstand, Bildung, Einkommen, Geschlecht, BIP pro Kopf in dem betreffenden Land usw.). „Wir vergleichen zum Beispiel eine Person, die in Israel lebt, mit einer Person, die das gleiche Einkommen hat, aber in Finnland lebt. Dabei haben die beiden Länder zwar das gleiche Pro-Kopf-BIP, weisen aber große Unterschiede in Bezug auf Ungleichheit auf (0,36 gegenüber 0,26“). Zudem unterschieden die Forscher auch zwischen entwickelten Industrieländern (vor allem in Europa und den USA) einerseits und Entwicklungsländern (vor allem in Afrika und Asien) andererseits. Nicht berücksichtigt bzw. in einer separaten Untersuchung analysiert wurden lediglich ehemals kommunistische Länder, da hier andere Zusammenhänge gelten.
Das Ergebnis war eindeutig: Der Zusammenhang war nicht etwa so, wie Antikapitalisten glauben, dass mehr Ungleichheit gleichbedeutend ist mit weniger Glück, sondern umgekehrt: Mehr Ungleichheit bedeutet, dass die Menschen glücklicher sind: „Fasst man die Befragten aus Entwicklungsländern und aus fortgeschrittenen Ländern ohne Beachtung der großen Unterschiede zwischen ihnen zusammen, so wird im Großen und Ganzen mehr Ungleichheit mit größerem Wohlbefinden assoziiert.“
In Entwicklungsländern bedeutet mehr Ungleichheit mehr Glück
Doch auf den zweiten Blick zeigten sich deutliche Unterschiede: In Entwicklungsländern gab es einen statistisch eindeutigen Zusammenhang von Glück und Ungleichheit – mehr Ungleichheit bedeutete größeres Glück. Die Wissenschaftler erklären das mit dem Hoffnungsfaktor: Menschen in sich entwickelnden Ländern sehen Ungleichheit oft als Ansporn, ihre eigene Situation zu verbessern, z.B. durch bessere Bildung. Einigen Gruppen der Gesellschaft gelingt es, auf diesem Weg sozial aufzusteigen und mehr zu verdienen, und dies wiederum spornt andere Menschen an.
In entwickelten Ländern galt dieser Zusammenhang dagegen nicht. Hier führte mehr Ungleichheit aber auch nicht zu geringerem Glück. Die Frage, ob ein Land mehr oder weniger gleich ist, hat hier keine Auswirkungen auf das Glück. So gibt es kaum Unterschiede in dem Glücksempfinden zwischen Menschen in Schweden und den Niederlanden einerseits und Singapur oder Taiwan andererseits, obwohl die Gleichheit in Schweden und den Niederlanden (gemessen im Gini-Index) viel größer ist als in Taiwan und Singapur.
Zugegeben, es ist generell schwierig, Glück oder Zufriedenheit verlässlich zu messen und die zahlenmäßigen Ergebnisse zwischen einzelnen Menschen, Ländern oder Kulturen zu vergleichen. Aber umgekehrt ist die selbstverständliche Annahme, dass mehr Gleichheit zu mehr Glück führt, eines der vielen Vorurteile der Antikapitalisten, das durch nichts belegt ist. Woran liegt es, dass das Thema Ungleichheit mit so vielen Emotionen verbunden ist?
Neid – die am meisten geleugnete Emotion
Kritiker der Gleichheitsadvokaten nennen oft Neid als eine Ursache, was Gleichheits-Anhänger jedoch empört zurückweisen. Neid ist die am meisten geleugnete, verdrängte und maskierte Emotion. Würde Neid als solcher erkennbar oder vom Neider sogar offen als Motiv kommuniziert, dann würde der Neider seine Intentionen damit automatisch disqualifizieren. Der amerikanische Anthropologe George W. Foster fragt, warum Menschen Gefühle der Schuld, der Scham, des Stolzes, der Gier und des Zornes ohne Beeinträchtigung der Selbstachtung anerkennen könnten, nicht jedoch Gefühle des Neids. Seine Erklärung lautet: Wer vor sich selbst und anderen zugebe, dass er neidisch ist, der gibt zu, dass er sich einem anderen unterlegen fühlt bzw. Minderwertigkeitsgefühle hat. Deshalb sei es so schwierig, Neidgefühle zuzugeben bzw. bei sich selbst zu akzeptieren. „Indem man seine Neidgefühle eingesteht, räumt man seine eigene Unterlegenheit gegenüber einem anderen ein; man misst sich an einem anderen und sieht sich als mangelhaft. Nach meiner Ansicht ist dieses mit dem Neid einhergehende Eingeständnis der Unterlegenheit für uns noch schwerer zu akzeptieren als das Eingeständnis des Neids an sich.“
Foster zitiert den amerikanischen Psychologen Harry Stack Sullivan mit einer Überlegung, die für die Erforschung der Quellen des Neides auf Reiche bedeutsam ist. Neid beginne mit dem Eingeständnis, dass der andere etwas hat, das man selbst gerne hätte. Dies führe automatisch zu der Frage, warum man selbst es nicht geschafft hat und warum es dem anderen gelungen ist, das Ziel zu erreichen. Dies ist ein zentraler Gedanke für das Verständnis der Tatsache, dass Neidgefühle so stark geleugnet werden und die meisten Menschen nicht zugeben wollen, dass sie neidisch sind: „Neid ist nicht angenehm, weil jede Formulierung des Gefühls, jeder implizite Prozess, der damit verbunden ist, notwendigerweise mit dem Punkt beginnt, dass man irgendetwas Materielles begehrt, das unglücklicherweise jemand anderes hat. Das führt automatisch zu der Frage: Warum hast du es nicht? Und das reicht mitunter aus, um Unsicherheit auszulösen, weil offenbar der andere Kerl im Gegensatz zu dir in der Lage ist, sich diese materiellen Dinge zu verschaffen, die ihm Sicherheit geben, während du dich nur noch unterlegener fühlst.“
Rainer Zitelmann hat einen Roman über den Gleichheitswahn geschrieben – Leseproben finden Sie hier.