Rekordschulden
Investoren verlieren das Vertrauen in US-Treasuries
Einst galten US-Staatsanleihen – die sogenannten Treasuries – als Inbegriff der Sicherheit. Diese Wahrnehmung gerät ins Wanken. Was das für den globalen Handel bedeutet.
- US-Treasuries verlieren Status als sicheres Investment.
- Renditen steigen, Vertrauen in US-Wirtschaft schwindet.
- Konkurrenz durch europäische Anleihen wächst stark.
- Report: Magnificent 7 - Die Spreu trennt sich vom Weizen

In Zeiten geopolitischer Spannungen, Finanzkrisen oder wirtschaftlicher Unsicherheit waren US-Treasuries immer das ultimative "Safe Haven"-Investment. Doch diese Gewissheit scheint zu bröckeln. Ein wachsender Teil der globalen Investorenwelt stellt die Sonderrolle der US-Anleihen zunehmend infrage – mit potenziell weitreichenden Folgen für das globale Finanzsystem.
Der dramatische Vertrauensverlust zeigt sich nicht nur in den Renditesprüngen der vergangenen Wochen, sondern auch in den Handelsmustern: Statt wie üblich als sicherer Rückzugsort in Krisenzeiten zu fungieren, werden Treasuries inzwischen teils im Gleichschritt mit Aktien und risikobehafteten Assets abgestoßen. Die Renditen schnellen hoch.
"Die langfristigen Zinssätze klettern nach oben, während der Aktienmarkt sich stark nach unten bewegt", kommentierte Ex-US-Finanzminister Lawrence Summers in einem Social-Media-Post. "Wir werden von den globalen Finanzmärkten wie ein problematisches Schwellenland behandelt", erklärte er und fügte hinzu, dass "dies angesichts der Staatsschulden und -defizite sowie der Abhängigkeit von ausländischen Käufern alle möglichen Teufelskreise in Gang setzen könnte".
Solche Bewegungen, gepaart mit einem schwächelnden US-Dollar, wecken Erinnerungen an Zeiten wirtschaftlicher Instabilität – allerdings diesmal nicht in einer Emerging Economy, sondern im Kernland des globalen Finanzsystems.









Die Verunsicherung am Markt war in den letzten Monaten schon zu spüren. Die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihen ist von 3,6 Prozent Anfang September auf aktuell etwa 4,4 Prozent gestiegen und hat Mitte Januar bei 4,79 Prozent den höchsten Stand seit Oktober 2023 erreicht. Experten halten auch einen Anstieg über die Marke von 5 Prozent aufgrund der Unsicherheit an den Märkten für möglich. Diese Entwicklung – begleitet von einer hohen Volatilität – spiegelt die Bedenken hinsichtlich der US-Wirtschaftspolitik und der globalen Konjunkturaussichten wider.
Die Gründe für den Stimmungsumschwung gegenüber den immer als sicher angesehenen Treasuries liegen tief: Die Märkte beginnen, die fiskalische und politische Stabilität der Vereinigten Staaten grundsätzlich zu hinterfragen. Unter Präsident Donald Trump werden massive Steuersenkungen und eine aggressive Handelspolitik verfolgt, während gleichzeitig die Schuldenlast des Landes auf historische Höchststände klettert. Diese Politik führt zu einer Mischung aus Unsicherheit, Sorgen vor Inflation und zunehmender Nervosität wegen der Gefahr einer Stagflation – also einer toxischen Mischung aus hoher Inflation bei gleichzeitig stagnierendem Wachstum.
Hinzu kommt: Der US-Dollar, bislang das Fundament des globalen Finanzsystems, verliert ebenfalls an Strahlkraft. Als weltweite Leitwährung genießt er bislang einen enormen strukturellen Vorteil – insbesondere, weil viele Zentralbanken und globale Investoren US-Dollar-Reserven traditionell in Treasuries anlegen. Doch genau dieses Zusammenspiel gerät unter Druck.
Deutsche-Bank-Analysten warnen bereits vor einer möglichen "Vertrauenskrise" gegenüber dem US-Dollar, während die UBS der europäischen Einheitswährung neue Chancen als Reservewährung einräumt. Dass solche Überlegungen inzwischen an den globalen Finanzmärkten ernsthaft diskutiert werden, unterstreicht die sich abzeichnende tektonische Verschiebung.
Die Auswirkungen auf die Nachfrage nach Treasuries sind bereits spürbar. Eine Auktion von 30-jährigen US-Staatsanleihen fand zwar Käufer, doch das Verhalten der Investoren ist nicht mehr so berechenbar wie früher. Besonders problematisch: Die Mehrheit der ausländischen Investoren hält langlaufende Treasuries – genau jene Papiere, die aktuell stark unter Druck stehen.
Wenn diese Anleger beginnen, ihre Engagements zurückzufahren, könnte das die sogenannte Zinsstrukturkurve – also den Unterschied zwischen kurzfristigen und langfristigen Zinsen – in den USA deutlich steiler machen. Ein solches Szenario würde die langfristigen Finanzierungskosten der USA drastisch erhöhen – mit entsprechenden Folgen für Haushaltsdefizit und Investitionen.
Die zentrale Rolle der Treasuries als Referenzrendite für internationale Kapitalströme, Unternehmensanleihen und Hypotheken macht diese Entwicklung so brisant. Schon ein leichter Anstieg der langfristigen US-Zinsen kann weltweit Finanzierungskosten verteuern und Kapitalströme umlenken.
Gleichzeitig wird es für die USA schwieriger, ihre Defizite zu finanzieren, wenn die Nachfrage aus dem Ausland nachlässt. "Das Vertrauen der Märkte wird durch die erratischen Zollmaßnahmen schwer beschädigt", so Shamil Gohil von Fidelity International. "Große Haushaltsdefizite erfordern künftig wohl einen Risikoaufschlag auf Treasuries."
Dabei ist die Konkurrenz nicht untätig. Die Renditen europäischer Staatsanleihen – vor allem deutscher Bundesanleihen – sind zuletzt zwar ebenfalls etwas gestiegen, halten sich jedoch stabiler und werde als deutlich sicherer wahrgenommen. Auch in Japan steigen die Zinsen angesichts eines restriktiveren geldpolitischen Kurses. Für europäische und japanische Investoren, die sich gegen Währungsrisiken absichern, sind heimische Anleihen inzwischen attraktiver als US-Papiere. Ein Trend, der sich mit zunehmender geopolitischer Entkopplung noch verstärken könnte.
Fazit: Die Zeiten, in denen US-Staatsanleihen als unantastbare Säule des Weltfinanzsystems galten, könnten ihrem Ende entgegensehen. Die Entwicklungen deuten auf eine strukturelle Vertrauenskrise hin, die weit über kurzfristige Marktbewegungen hinausgeht. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könnte das langfristige Auswirkungen auf Kapitalflüsse, Währungen und die Struktur der internationalen Finanzmärkte haben.
Autor: Ingo Kolf, wallstreetONLINE Redaktion

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