Verlorenes Vertrauen
US-Staatsanleihen sind keine sicheren Häfen mehr
Die US-Treasuries verlieren zunehmend ihre Bedeutung als Sicherheitsanker in Krisenzeiten. Dafür springen die Bundesanleihen in die Bresche.
- US-Treasuries verlieren Vertrauen als Krisensicherer.
- Bundesanleihen gewinnen an Bedeutung und Glaubwürdigkeit.
- Politische Unsicherheiten belasten US-Finanzmarkt stark.
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Noch vor wenigen Monaten galten US-Staatsanleihen (Treasuries) als der Inbegriff finanzieller Stabilität. In jeder Krise strömte Kapital in den amerikanischen Bondmarkt – ein Reflex, der jahrzehntelang als verlässlich galt. Doch dieser Mechanismus beginnt zu bröckeln. Politische Turbulenzen in Washington, eskalierende Handelskonflikte und ein rasant wachsender Schuldenberg untergraben das Vertrauen. Der Treasuries-Markt steht vor einem Paradigmenwechsel – und Anleger suchen sich neue sichere Häfen.
Ausgerechnet in der ersten Aprilwoche, als US-Präsident Donald Trump seine Zölle gegen die halbe Welt ankündigte und Weltwirtschaft und Börsen in Turbulenzen stürzte, verlor die zehnjährige US-Rendite über 50 Basispunkte und verzeichnete damit den größten wöchentlichen Anstieg seit 2001. In einem solchen Umfeld hatten sich Anleger früher immer auf die Bonds gestürzt, wodurch die Renditen gesunken waren. Gleichzeitig hielten sich deutsche Bundesanleihen (Bunds) weitgehend stabil, trotz der Ankündigung milliardenschwerer Investitionen.
Das Resultat: Die größte relative Underperformance von Treasuries gegenüber Bunds seit mindestens 1989, wie Bloomberg-Daten zeigen. Statt wie gewohnt in US-Anleihen zu flüchten, greifen Investoren nun zunehmend zu deutschen Staatspapieren, wenn sie auf der Suche nach Sicherheit sind.
Der Grund: Während Trump öffentlich die Unabhängigkeit der Fed infrage stellt und über die Absetzung von Notenbankchef Jerome Powell spekuliert, gewinnen Bundesanleihen an Glaubwürdigkeit. Denn auch wenn der US-Präsident mittlerweile wieder zurückgerudert ist, sorgt das ständige Hin und Her doch für Verunsicherung.
"Bunds agieren in diesem Umfeld als Instrument für eine Flucht in die Qualität", sagt Shamil Gohil von Fidelity gegenüber Bloomberg. Das Vertrauen in US-Finanzpolitik hingegen ist angeschlagen – die einst sichere Festung verliert ihren Glanz. Angesichts der Volatilität werde es immer schwieriger, in US-Treasuries zu investieren.
Auch wenn Deutschland derzeit eine historische Aufrüstung der Bundeswehr finanziert, bleibt das Vertrauen in die fiskalische Disziplin der Bundesrepublik ungebrochen. Die Schuldenquote ist niedrig, die Haushaltsführung gilt als solide. Selbst das Aussetzen der Schuldenbremse ruft weniger Bedenken hervor als das fiskalische Draufgängertum in den USA. HSBC-Strategen sehen die "Safe-Haven"-Eigenschaft deutscher Anleihen als unangefochten – trotz der Aussicht auf wachsende Emissionen.
Parallel dazu zwingen Trumps Zölle die US-Notenbank in eine prekäre Lage: Inflation und Konjunkturschwäche drohen gleichzeitig – ein Szenario, das seit den 1970er-Jahren kaum mehr gesehen wurde. Die Fed hält sich vorerst zurück, doch das Risiko stagflationärer Tendenzen steigt. Die Konsequenz: Anleger werfen nicht nur US-Tech-Aktien, sondern auch Treasuries aus den Depots – obwohl diese eigentlich als Kriseninstrument taugen sollten.
Hinzu kommt ein strukturelles Problem: Der riesige Refinanzierungsbedarf der US-Regierung – allein 2025 droht ein Haushaltsdefizit von 8 Prozent des BIP – führt zu einer regelrechten Flut neuer Emissionen. Zum Vergleich: In Deutschland betrug die Quote etwa 2,8 Prozent, zeigen Daten des Statistischen Bundesamts (Destatis).
Die US-Regierung muss also jeden Monat aufs Neue eine ganze Flut an Bonds am Markt platzieren. "Diese Auktionen werden nicht verschwinden", warnt Matthew Eagan von Loomis, Sayles & Co. Schon jetzt zeigen sich bei Nachfrage und Preisbildung erste Risse im Markt. Im Gegensatz dazu profitiert der Bundesanleihen-Markt von der Unterstützung der Europäischen Zentralbank, die angesichts schwacher Inflation und einer möglichen Importflut aus China auf Zinssenkungen zusteuert.
Die Ironie: Der Treasuries-Markt, einst Maßstab für die globale Kapitalverteilung, wird selbst zum Risiko – politisiert, überfordert und in seiner Funktion als "Benchmark" zunehmend in Frage gestellt. Nicht nur die Ratingagenturen – auch viele Investoren sprechen inzwischen von einem Vertrauensverlust. Ob sich das ändert, hängt stark von der politischen Entwicklung in Washington ab. Sollte die Fed ihre Unabhängigkeit behaupten und die fiskalische Linie glaubwürdig bleiben, könnten Treasuries langfristig wieder attraktiver werden. Doch bis dahin ist der Nimbus des ultimativen sicheren Hafens erst einmal dahin – und Bundesanleihen die neuen Lieblinge der Krisenanleger.
Autor: Ingo Kolf, wallstreetONLINE Redaktion

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