"Die USA sind die Blase"
Die große Kapitalflucht aus den USA hat gerade erst begonnen
Die Welt kehrt den USA den Rücken – und das nicht nur politisch, sondern in rasantem Tempo auch finanziell. Es entwickelt sich immer mehr eine massive Kapitalrotation heraus aus US-Anlagen.
- Weltweite Kapitalrotation weg von US-Anlagen beschleunigt.
- US-Dollar und Aktien verlieren an Attraktivität massiv.
- Politische Risiken verstärken Vertrauenskrise in Märkten.
- Report: Die USA haben fertig! 5 Aktien für den China-Boom

Aktien, Anleihen und sogar der US-Dollar verlieren spürbar an Attraktivität. Strategen sprechen bereits von einem Epochenwechsel. Und es gibt gute Gründe, warum der Trend heraus aus US-Anlagen nicht nur anhält, sondern sich womöglich sogar noch beschleunigen wird.
"Diese große Rotation hat gerade erst begonnen und könnte Jahre andauern", bringt es Chefstratege Alain Bokobza von Société Générale im Interview mit Bloomberg auf den Punkt. Bereits im Februar hatte er Anlegern empfohlen, sich aus US-Aktien und dem Greenback zurückzuziehen. Tatsächlich war seine Empfehlung verblüffend akkurat. Seitdem hat der S&P 500 über 15 Prozent eingebüßt, der US-Dollar-Index fiel um fast 9 Prozent.
Damit ist klar: Es geht längst nicht mehr um kurzfristige Korrekturen – sondern um ein strukturelles Umdenken bei globalen Investoren. Im Zentrum der Unsicherheit steht die neue Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump. Seit der Ankündigung drastischer Zölle am 2. April taumeln die US-Märkte.
Die Federal Reserve zeigt sich angesichts des politischen Drucks auf ihre Unabhängigkeit zurückhaltend, Zinssenkungen bleiben vorerst aus. Gleichzeitig steigen die Renditen für US-Staatsanleihen – nicht etwa als Zeichen von Stärke, sondern als Ausdruck schwindenden Vertrauens. Die 10-jährige Treasury-Rendite kletterte zuletzt auf über 4,5 Prozent. Parallel fiel der US-Dollar auf ein Drei-Jahres-Tief.
Besorgniserregend ist dabei, dass alle klassischen US-Anlageklassen gleichzeitig unter Druck geraten – ein äußerst seltenes Phänomen. Normalerweise dient der US-Dollar in Krisenzeiten als sicherer Hafen. Nicht so in diesem Zyklus. Der Risikoaufschlag auf alle US-Anlagen steige aktuell, sagt Bokobza. Damit sei das Ende der amerikanischen Ausnahmestellung ("Exceptionalism") eingeläutet.
Auch institutionelle Investoren ziehen Konsequenzen: Europa, Japan und selbst China gewinnen an Attraktivität. Der MSCI EAFE-Index, der die Märkte außerhalb Nordamerikas abbildet, legte dieses Jahr bereits um rund 7 Prozent zu – während der Nasdaq über 16 Prozent verlor. Besonders gefragt: europäische Blue Chips und deutsche Staatsanleihen. Der Goldpreis sprang erstmals über die Marke von 3.500 US-Dollar – Ausdruck wachsender Fluchtbewegungen aus dem Dollarraum.
Doch die Marktbewegungen sind nicht nur eine Reaktion auf wirtschaftliche Daten, sondern auch auf politische Risiken. Die Angst vor einer Entlassung von Fed-Chef Jerome Powell durch Trump, wie sie zuletzt an den Märkten kursierte, wäre ein beispielloser Eingriff in die Notenbankunabhängigkeit – und könnte die Vertrauenskrise noch verschärfen. Auch wenn Trump jüngst wieder zurückruderte, allein mit der Drohung wurde viel Schaden angerichtet.
Hinzu kommt: Die Belastungen durch die Zölle treffen ausgerechnet jene Tech-Giganten, die über Jahre das Rückgrat der US-Börsen waren. Apple, Nvidia und Co. geraten zunehmend zwischen die Fronten geopolitischer Spannungen. Gleichzeitig fehlen fiskalische Spielräume für Konjunkturstützen – hohe Zinsen verteuern die Refinanzierung des ohnehin gewaltigen US-Defizits.
Die Konsequenzen? Ein Ende der US-Dominanz an den Weltfinanzmärkten könnte reale wirtschaftliche Folgen haben: sinkende Nachfrage nach US-Staatsanleihen, steigende Finanzierungskosten und schwindende Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Unternehmen. Die USA sind das neue Risiko im Portfolio.
"Die wichtigste Erkenntnis aus diesem Jahr, aus der Präsidentschaft Trumps, aus allem, was passiert ist, ist: Es findet eine Kapitalrotation heraus aus den USA statt. Und das hat inzwischen eine brutale Dynamik angenommen – bei hohen Anleiherenditen und einem fallenden US-Dollar ist das zur zentralen Story geworden. Aber dieser Exodus begann schon lange vor dem 'Liberation Day'. … Die USA sind die Blase. Die USA. Alles davon", erklärte Marco Papic, Stratege bei BCA Research, jüngst gegenüber CNBC.
Natürlich mahnen einige Marktbeobachter zur Vorsicht: US-Aktien seien langfristig immer wieder zurückgekommen, Diversifikation sei kein Allheilmittel. Doch eines steht fest: Die Märkte preisen aktuell keine vorübergehende Delle ein, sondern eher eine tektonische Verschiebung.
Autor: Ingo Kolf, wallstreetONLINE Redaktion

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