AfD-Gutachten: Journalisten als Regierungssprecher?
Das AfD-Gutachten wird kontrovers diskutiert. Aber wer hat die 1100 Seiten gelesen?
Das ZDF bringt eine Sondersendung über den Bericht des Verfassungsschutzes zur AfD und die ARD kündigt als Konsequenz an, künftig in ihren Beiträgen die AfD stets als „gesichert rechtsextrem“ zu bezeichnen. Georg Restle, Leiter des ARD-Magazins Monitor, schreibt auf X: „AfD jetzt ‚gesichert rechtsextremistisch’. Eine Entscheidung, die Folgen haben muss, auch für den ÖRR. Eine ‚Gleichbehandlung’ von Rechtsextremisten verstößt gegen den Programmauftrag. Verfassungsfeinden darf keine Bühne gegeben werden. Nicht in Talks, nicht in der Tagesschau.“ Soll das heißen, dass die tagesschau künftig keine Interviews mehr mit AfD-Politikern bringen und nicht mehr über deren Parteitage berichten oder keine Auszüge aus Bundestagsreden von AfD-Politikern mehr senden soll? Hat Restle den Bericht überhaupt gelesen (und wenn ja, warum konnte er ihn lesen?) oder vertraut er staatlichen Behörden blind – was ein merkwürdiges Berufsverständnis für einen Journalisten wäre. Da das Gutachten geheim ist, kann man davon ausgehen, dass keiner oder kaum einer der Journalisten, die sich dazu äußern und kaum ein Politiker, der darüber diskutiert, es gelesen hat.
CDU-Politiker: AfD „ausschalten“
Es ist absurd, dass Journalisten und Politiker erklären, der Bericht bestätige dies oder jenes, ohne ihn zu kennen. Ein Beispiel: Der CDU-Politiker Marco Wanderwitz sieht nach dem Bericht bessere Voraussetzungen für ein Verbot der AfD. „Ich denke schon, dass die heutige Hochstufung seitens des Bundesamts für Verfassungsschutz, die ja auf über tausend Seiten mit Fakten hinterlegt ist, eine neue Lage geschaffen hat“, sagte der Mitinitiator eines AfD-Verbotsverfahrens bei RTL und ntv. Er bezieht sich auf 1100 Seiten, die er vermutlich selbst nicht gelesen hat – oder etwa doch? Und fährt fort: „Solange die AfD so wirkmächtig ist, wie sie ist, täglich analog und digital, ihre Anhängerinnen und Anhänger mit Hass, Hetze und ihren extremistischen Positionen befüllt“, sei es „faktisch unmöglich“, „die übergroße Zahl der Wählerinnen und Wähler der AfD, auch diejenigen unter ihnen, die kein gesichert rechtsextremistisches Weltbild haben, wieder anzusprechen für demokratische Parteien.“ Deshalb müsse die AfD „sozusagen ausgeschaltet werden, wenn wir da Erfolg haben wollen“. Eine abenteuerliche Argumentation.
Innenministerin Nancy Faeser hat das Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ offenbar nicht einmal geprüft. Das berichtet Bild unter Berufung auf Unions- und Sicherheitskreise. Demnach habe die Innenministerin trotz der fachlichen Zuständigkeit für den Inlandsgeheimdienst keine interne Evaluierung des neuen Gutachtens durchgeführt, bevor sie verkündete, die AfD werde neu eingestuft. Interessant wäre die Frage, ob Faeser die 1100 Seiten selbst gelesen hat. Merkwürdigerweise hat ihr kein Journalist diese Frage gestellt.
Warum werden die 1100 Seiten nicht veröffentlicht?
Das Gegenargument lautet, der Bericht könne nicht veröffentlicht werden, um „Quellen zu schützen“, gemeint sind wohl Informanten des Verfassungsschutzes in der AfD. Ein zweites Gegenargument lautet, die AfD werde den Bericht ja noch früh genug lesen können, nämlich wenn sie dagegen klage. Allerdings mit geschwärzten Stellen. Beide Argumente passen nicht zusammen. Wenn die AfD den Bericht später ohnehin lesen darf (mit geschwärzten Stellen), warum dann nicht gleich?
Ohnehin darf man vermuten, dass Berichte von Informanten, die man schützen will, nur einen ganz kleinen Prozentsatz des Berichtes ausmachen, der sich wohl vorwiegend auf öffentlich zugängliche Quellen stützen wird. Das sind alles jedoch Spekulationen, weil fast keiner derjenigen, die über den Bericht diskutieren, ihn kennt, auch nicht der Verfasser dieser Zeilen. Der Verdacht liegt nahe, dass das Gutachten vor allem deshalb nicht veröffentlicht wird, weil man fürchtet, dass sich darin zu viele angreifbare Stellen finden könnten.
Indiz für Rechtsextremismus?
Nach Recherchen der WELT nennt das Gutachten unter anderem folgendes Beispiel, das die Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistische“ Partei belegen solle: Martin Reichardt, Mitarbeiter des Bundestages, kritisierte im November auf der Plattform X eine „verfehlte Migrationspolitik“:
„Verfehlte Migrationspolitik und Asylmissbrauch habe zum 100.000-fachen Import von Menschen aus zutiefst rückständigen und frauenfeindlichen Kulturen geführt“. Ich vermute, wenn man dieses Statement in einer Meinungsumfrage den Deutschen vorlegte, dass die Mehrheit der Wähler aller Parteien – mit Ausnahme der GRÜNEN und möglicherweise auch der LINKEN – zumindest zu der Tendenz dieser Aussage Zustimmung bekunden würde.
Natürlich ist das Zitat nur eines von vielen Beispielen, aber dies zeigt, dass es wichtig wäre, die anderen Zitate und Belegstellen, die der Verfassungsschutz anführt, kritisch unter die Lupe zu nehmen. Journalisten, die – ohne den Bericht zu lesen – seine Folgerungen ungeprüft und unkritisch übernehmen, machen sich damit zu Regierungssprechern oder Sprechern des Inlandsgeheimdienstes. Denn ihre Aufgabe wäre es, kritisch die Argumente abzuwägen.
Ich selbst sehe die AfD und ihre Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren kritisch, besonders die Verharmlosung Putins durch den AfD-Vorsitzenden Chrupalla und andere AfD-Politiker sowie auch die nationalen Sozialisten um Björn Höcke. Aber charakteristisch für die Diskussion ist, dass oft schon die Kritik am Umgang mit der AfD im Zusammenhang mit dem Gutachten – vorsichtig gesagt – als Indiz für eine Nähe zu der Partei oder eine Sympathie für deren Positionen gewertet wird.
Das Vorgehen gegen die AfD steht im Kontext einer zunehmenden Einschränkung bürgerlicher Freiheitsrechte in Deutschland. Dass dies aus der FDP-Führung nur von Wolfgang Kubicki kritisiert wird, finde ich alarmierend. Es wäre die Aufgabe einer liberalen Partei, die zunehmende Einschränkung von Bürgerrechten mit deutlichen Worten zu kritisieren.
Rainer Zitelmann ist Historiker und Soziologe – Thema seines neuen Buches „2075“ ist die sukzessive Verwandlung einer freiheitlichen Gesellschaft in eine Diktatur.