Ungenutztes Potenzial
Deutschlands Chancen, wenn die USA als Absatzmarkt wegbrechen
Trumps Zollpolitik bedroht Deutschlands wichtigsten Exportmarkt. Doch eine neue Analyse zeigt: In Ländern wie Indien, Kanada und Großbritannien schlummert ungenutztes Potenzial.
- Trumps Zollpolitik belastet deutschen Export stark.
- Neue Märkte: Indien, Kanada und UK bieten Potenzial.
- Handelsabkommen könnten Wachstum in Drittstaaten fördern.
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Donald Trumps Handelskrieg trifft Deutschland ins Mark. Mit den Strafzöllen auf europäische Produkte geraten gerade jene Branchen unter Druck, die traditionell stark in die USA exportieren – darunter Automobilbau, Maschinenbau und Chemie. Die Vereinigten Staaten sind mit Abstand Deutschlands wichtigster Absatzmarkt außerhalb Europas.
Auch wenn die US-Regierung bestimmte Zölle vorübergehend ausgesetzt hat und bei Autozöllen über Lockerungen spricht, bleibt die transatlantische Handelspolitik stark belastet. Fallen die USA als Wachstumsquelle dauerhaft weg, droht mehr als ein konjunktureller Dämpfer: Es steht ein struktureller Umbau der Exportstrategie an.
Eine aktuelle Analyse von Deutsche Bank Research macht deutlich, wo neue Chancen liegen könnten – und wie sehr die deutsche Exportwirtschaft in Teilen der Welt unter ihrem Potenzial bleibt. Das Ergebnis: In Ländern wie den USA, Frankreich und den Niederlanden übertreffen die realen Exporte das erwartete Maß – ein Zeichen für enge wirtschaftliche Verflechtungen. Deutlich unter den Erwartungen liegen hingegen Großbritannien, Indien, Kanada und Japan.
Besonders auffällig ist die "Untergewichtung" des Vereinigten Königreichs. Trotz geografischer Nähe und starker Wirtschaftskraft liegen die deutschen Exporte nur bei rund 73 Prozent des theoretischen Potenzials. Nach dem Brexit und Jahren wirtschaftlicher Entkopplung könnte hier nun eine Trendwende einsetzen. Die EU und Großbritannien planen für den 19. Mai ein neues Partnerschaftsabkommen, das neben sicherheitspolitischer Zusammenarbeit auch Handelserleichterungen vorsieht.
Noch größer ist der ungenutzte Spielraum bei Indien: Deutsche Exporte erreichen dort gerade einmal die Hälfte dessen, was Entfernung und Wirtschaftskraft erwarten ließen. Zwar stocken die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit der EU seit Jahren, doch ein Entwurf soll laut Kommission bis Jahresende vorliegen. Indien ist nicht nur bevölkerungsreich, sondern verfügt auch über eine wachsende Industrie- und Konsumschicht – ein idealer Zielmarkt, wenn Zugangshürden wie Zölle auf Medikamente und Autos fallen.
Kanada bietet mit 57 Prozent Zielerreichung ebenfalls hohen Nachholbedarf – trotz des bestehenden Freihandelsabkommens CETA. Dass einige EU-Staaten das Abkommen bisher nicht vollständig ratifiziert haben, hemmt allerdings das Potenzial. Mit der Wahl von Mark Carney zum neuen Premierminister, der eine engere Anbindung an Europa angekündigt hat, könnte nun Bewegung in die Partnerschaft kommen.
Auch Japan und Brasilien bieten der deutschen Exportwirtschaft ungenutzte Potenziale. Beide Länder verfügen über große Binnenmärkte und eine solide Industriestruktur, dennoch liegen die deutschen Ausfuhren aktuell unter dem rechnerischen Potenzial: bei etwa 74 Prozent im Fall Japans und rund 78 Prozent bei Brasilien. Dabei bestehen bereits günstige Rahmenbedingungen. Mit Japan hat die EU seit 2019 das Freihandelsabkommen JEFTA in Kraft, das Zölle abbaut und Standards harmonisiert. Für Brasilien könnte das bislang nicht ratifizierte Mercosur-Abkommen einen ähnlichen Schub bringen. Sollte es gelingen, den Widerstand einzelner EU-Staaten (v.a. Frankreich, Österreich, Niederlande) gegen das Abkommen zu überwinden, entstünde ein neuer Freihandelsraum mit über 700 Millionen Menschen – und eine wichtige Alternative zum US-Markt.
China, obwohl mit 94 Prozent nahezu im Gleichgewicht zum theoretischen Potenzial, bleibt aufgrund seiner Größe ein unverzichtbarer Faktor. Die Exportquote ist zwar hoch, doch angesichts wachsender geopolitischer Risiken fordert die Politik zunehmend ein "De-Risking". Neue Wachstumschancen in Drittstaaten könnten helfen, diese strategische Abhängigkeit zu reduzieren.
Grundlage der Studie der Deutschen Bank ist ein "Gravitationsmodell", das davon ausgeht, dass sich Handelsvolumina vor allem aus zwei Faktoren ergeben: wirtschaftlicher Größe und geografischer Nähe. Mehr als 75 Prozent der deutschen Exporte lassen sich demnach durch diese beiden Kennzahlen erklären. Die Untersuchung vergleicht darauf basierend die tatsächlichen deutschen Ausfuhren mit den rechnerisch erwartbaren Werten.
Deutschland steht angesichts der Zollproblematik vor der Aufgabe, seine Außenwirtschaft neu aufzustellen. Die gute Nachricht: Die Daten zeigen, dass es jenseits des Atlantiks genügend Länder gibt, in denen deutsches Know-how und Produkte gefragt sind – und wo das Handelsvolumen noch lange nicht ausgeschöpft ist.
Autor: Ingo Kolf, wallstreetONLINE Redaktion

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