Plan für den Ernstfall
EZB bereitet sich auf eine Welt ohne Fed-Rückendeckung vor
Aus Sorge vor einem Bruch mit der US-Notenbank prüft die EZB, wie Europas Banken ohne Dollar-Stützräder auskommen. Die Zeiten transatlantischer Verlässlichkeit sind vorbei.
- EZB prüft Unabhängigkeit von US-Dollar für Banken.
- Vertrauen in US-Notenbank schwindet, geopolitische Risiken.
- Banken sollen Dollar-Abhängigkeit kritisch analysieren.
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Die Europäische Zentralbank (EZB) stellt sich auf ein Szenario ein, das lange als unvorstellbar galt: Die Möglichkeit, dass sie im Krisenfall keine Unterstützung mehr von der US-Notenbank erhält. Ausgerechnet jetzt, da geopolitische Risiken zunehmen und die Kapitalmärkte nervös sind, wächst in Frankfurt das Misstrauen gegenüber der Verlässlichkeit der Federal Reserve – nicht etwa wegen wirtschaftlicher Signale, sondern wegen politischer Entwicklungen in Washington.
Die EZB-Bankenaufsicht hat damit begonnen, europäische Institute aufzufordern, ihre Abhängigkeit vom US-Dollar kritisch zu überprüfen, heißt es aus informierten Kreisen. Im Fokus steht die Frage, was passiert, wenn Dollarquellen versiegen – sei es durch einen Marktstress oder durch politische Blockaden. Hintergrund ist die Sorge, dass die gewohnten Swap-Linien zur Fed – ein Pfeiler globaler Finanzstabilität – unter einer US-Regierung Trump II nicht mehr selbstverständlich sein könnten.
Eine Swap-Linie ist ein Währungsabkommen zwischen zwei Zentralbanken, bei dem sie vereinbaren, sich gegenseitig Währungen (z. B. Euro gegen US-Dollar) zeitweise zur Verfügung zu stellen. So kann zum Beispiel die EZB bei der Fed US-Dollar leihen, um europäischen Banken im Krisenfall Zugang zu Dollar-Liquidität zu sichern. Ziel ist es, Marktstress zu mindern und die Stabilität des Finanzsystems zu schützen.
Formell hat die US-Notenbank keine Abkehr von diesen Notfallmechanismen signalisiert. Doch das Vertrauen bröckelt. Präsident Donald Trump hat wiederholt Institutionen wie die NATO oder multilaterale Handelsabkommen infrage gestellt. Dass ausgerechnet die Fed – offiziell unabhängig, aber regelmäßig Zielscheibe seiner Kritik – in einem geopolitischen Krisenszenario ohne politische Einflussnahme agiert, erscheint vielen europäischen Aufsehern zunehmend unsicher.
Aktuell finanzieren sich rund 17 Prozent der Banken im Euroraum in US-Dollar – vor allem über kurzfristige Instrumente wie Commercial Paper oder Repo-Geschäfte. Diese Quellen sind im Krisenfall notorisch anfällig für Austrocknung. Die Finanzkrise von 2008 und jüngst der Beinahe-Kollaps der Credit Suisse im März 2023 haben gezeigt, wie schnell die Märkte ins Wanken geraten können. Damals half die Fed mit Dollar-Liquidität, um Schlimmeres zu verhindern. Doch ob das auch morgen noch gilt, ist fraglich.
Das Problem: Die EZB kann die Swap-Linie mit der Fed nicht einfordern – sie ist ein Goodwill-Instrument. Sollte Washington entscheiden, Europa im Regen stehen zu lassen, wäre Frankfurt machtlos.
Entsprechend fordern die EZB-Prüfer nun Banken auf, sogenannte Dollar-Gaps in ihren Bilanzen zu identifizieren und zu verringern. Gemeint sind Ungleichgewichte zwischen Dollar-Verbindlichkeiten und -Aktiva, die im Stressfall zu Liquiditätsengpässen führen könnten. Erste Banken modellieren bereits Szenarien ohne Fed-Zugang. Ein führender Bankmanager sprach gegenüber Reuters davon, dass sein Institut dem Ausfallrisiko solcher Swap-Linien inzwischen eine Eintrittswahrscheinlichkeit von fünf Prozent zuschreibt – ein erheblicher Sprung von null Prozent noch vor wenigen Monaten.
Die Aufsicht drängt auf Maßnahmen: Weniger Kreditvergabe in US-Dollar, ein Rückzug aus risikobehafteten Geschäftsfeldern, stärkere Diversifikation der Währungsströme. Banken ohne US-Tochter, die etwa im Schiffs- oder Rohstoffhandel aktiv sind, gelten als besonders anfällig.
Offiziell verweigert die EZB einen Kommentar. Doch EZB-Aufsichtschefin Claudia Buch hatte bereits im März vor geopolitisch ausgelösten Liquiditätsrisiken gewarnt. Damals sprach sie von "engen Monitoring-Prozessen". Nun scheint daraus stille Notfallplanung geworden zu sein.
Denn trotz aller Spekulationen bleibt es eine Tatsache, dass in einem fragmentierten Währungssystem, in dem der US-Dollar die globale Reservewährung stellt, Europas Banken strukturell verletzlich sind. Die Vorstellung, dass sie im Notfall nicht mehr auf den US-Dollar zurückgreifen können, ist ein tiefer Einschnitt – nicht nur technisch, sondern strategisch. Sie zwingt Europa dazu, die Illusion ewiger Verlässlichkeit im transatlantischen Verhältnis zu überdenken.
Und damit steht mehr auf dem Spiel als ein technisches Finanzinstrument. Es geht um die geopolitische Selbstständigkeit Europas im Finanzsystem – und vielleicht um den Anfang vom Ende der Ära des "US-Dollar als Weltpolizei".
Autor: Ingo Kolf, wallstreetONLINE Redaktion

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