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     1419  0 Kommentare Das große Gewinner-Los


    Zeiten plötzlichen Reichtums

    Der Freiheitsgrad unser heutigen Welt ist riesig. Aus Alten werden plötzlich Junge, aus Männern werden Frauen, und aus Armen werden Reiche – et vice versa. Viele Aktionäre haben das in den letzten zehn Jahren schon erlebt, plötzlich richtig reich geworden zu sein, ohne eigentlich viel dazu getan zu haben, sondern einfach nur rechtzeitig auf den „Zug des Schicksal“ aufgesprungen zu sein. (Und manchmal dann natürlich auch nicht ebenso rechtzeitig wieder abgesprungen zu sein.)

    Wer das schon einmal in extremer Form erlebt hat, für den ist hinterher nichts mehr wie vorher. Das Leben ist irgendwie aus den Angeln gehoben. Man hat kurzzeitig die Bodenhaftung verloren und die Schwerkraft außer Kraft gesetzt. „Viel Geld“ ist plötzlich nicht mehr ein Synonym für viel Arbeit oder für viel Einsatz, sondern einfach für den Wink des Schicksals. Wie bei der Lotterie. Ganz so, als ginge man morgens zur Arbeit uns einem flöge ein Gewinner-Los zu. (Oder man käme abends nach Hause und hätte es verloren.)

    Was für eine Zeit, in der wir da gerade leben!!!

    Die Künstlichkeit unseres Seins erfasst nach den Privatpersonen und den Unternehmen nun auch anscheinend ganze Länder. Wie lange redet man schon über das „Creative Accounting“ in den US-Statistiken, doch gegenüber den Griechen ist das gar nichts, schließlich ist das Volkseinkommen der Griechen in der letzten Woche durch eine Veränderung der Erfassung ganz plötzlich um 25 Prozent in die Höhe geschnellt. Um den Dienstleistungssektor besser zu erfassen, hat man die Schätzverfahren verändert und dazu auch Teile des Schwarzmarktes in die Statistik mit aufgenommen. Plötzlich erwirtschaften die Griechen in einer Woche nun offiziell 25 Prozent mehr als in der Vorwoche – und haben dadurch natürlich einen viel kleineren Schuldenstand, wenn man die Staatsschulden auf das Einkommen bezieht. Warum machen wir das nicht eigentlich alle so?

    Dahinter steht natürlich ein ernstes konzeptionelles Problem: Vieles an unseren offiziellen Zahlen sind Schätzwerte. Und Schätzwerte sind stets einer gewissen Willkür unterlegen, die sich gar nicht umgehen lässt. Wollten wir tatsächlich hundertprozentig exakte Zahlen über unser Volkseinkommen haben, müssten wir es machen wie die Bundesregierung mit dem am 22. Juni dieses Jahres beschlossenen „Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek“, welches jeden Bundesbürger, der eine Internetseite veröffentlicht, dazu verpflichtet, seine Internet-Seiten vollständig bei der Nationalbibliothek in Frankfurt am Main in Kopie abzuliefern.

    Das ist kein Scherz, sondern Realität. Das zeigt, wie wenig Scherz und Realität heutzutage noch voneinander zu unterscheiden sind. Und was kann man dagegen überhaupt ausrichten? Arthur Schopenhauer hat bereits im Jahr 1850 geschrieben, das Beste, was man im Leben machen könnte, sei, die Hände in den Schoß zu legen und den Schlaf zu suchen. Wenigstens daran hat sich bis heute nichts geändert.


    Am nächsten Montag fällt Bernd Niquets Kolumne urlaubsbedingt aus.



    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Das große Gewinner-Los Zeiten plötzlichen Reichtums Der Freiheitsgrad unser heutigen Welt ist riesig. Aus Alten werden plötzlich Junge, aus Männern werden Frauen, und aus Armen werden Reiche – et vice versa. Viele Aktionäre haben das in den letzten zehn Jahren …