"Erhebliche Auswirkungen"
Japans Bondmarkt bebt – und zieht die Welt mit
Die Volatilität in Japans Schuldenmarkt erreicht Höchststände. Die Kombination aus Rekordverschuldung und globaler Zinsangst wird zunehmend zu einem weltweiten Risiko.
- Japans Schuldenmarkt erreicht historische Volatilität.
- Globale Zinsangst führt zu Abverkaufswelle weltweit.
- Hohe Staatsverschuldung verstärkt Risiken für Märkte.
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Was einst als ruhiger Hafen institutioneller Anleihen galt, entwickelt sich zur globalen Schockwelle: Der japanische Staatsanleihemarkt, der ein Volumen von rund 7,8 Billionen US-Dollar hat, erlebt derzeit eine Volatilität, wie man sie seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht gesehen hat. Die Bewegungen an der fernöstlichen Renditekurve schlagen inzwischen spürbar auf US-Treasuries, europäische Staatsanleihen und globale Portfolios durch. Und das könnte erst der Anfang sein.
"Der Anstieg der japanischen Anleiherenditen hat global erhebliche Auswirkungen", mahnt Freddy Wong, Leiter des asiatisch-pazifischen Rentenbereichs bei Invesco, gegenüber Bloomberg. Der Anstieg der JGB-Renditen (Japanese Government Bonds) mache andere Staatsanleihen relativ unattraktiver – mit der Folge, dass es zu Abverkäufen und zunehmender Volatilität in anderen Märkten komme.
Die Märkte sind inzwischen enger miteinander verflochten als je zuvor. Als im Mai eine schwache Auktion japanischer 20-jähriger Anleihen die Renditen in Tokio nach oben schießen ließ, zogen auch die 30-jährigen US-Treasuries auf ein 19-Monats-Hoch an. Die Renditen vergleichbarer Bundesanleihen erreichten den höchsten Stand seit zwei Monaten. Daten zeigen: Die Korrelation zwischen den langfristigen japanischen und US-amerikanischen sowie britischen Staatsanleihen liegt inzwischen auf einem Mehrjahreshoch.
Einst war Japans Anleihemarkt weitgehend abgeschottet. Unter der langjährigen Politik der Zinskurvensteuerung durch die Bank of Japan (BoJ) kam es regelmäßig vor, dass zehnjährige Benchmark-Anleihen tagelang nicht gehandelt wurden. Doch seit dem schrittweisen Ausstieg der Notenbank aus ihrer ultraexpansiven Politik ist dieser Anker verschwunden. Die BoJ reduzierte im ersten Quartal ihre JGB-Bestände um mehr als 6 Billionen Yen – der größte Rückgang seit Beginn der Aufzeichnungen 1996.
Während Investoren die nächste Maßnahme der BoJ erwarten, fürchten sie vor allem eines: dass sich das Vakuum beim Anleiheankauf vertieft. Denn große inländische Käufer, die früher bereitstanden, sind bislang kaum eingesprungen. Für Indexanleger ist das ein erhebliches Risiko. Japanische Staatsanleihen machen mit einem Anteil von 16,7 Prozent den zweitgrößten Block im Bloomberg Global Treasury Index aus. Verwerfungen dort führen zwangsläufig zu globalen Wertverlusten.
Hinzu kommt ein strukturelles Problem: Japan hat mit die höchste Staatsverschuldung weltweit – mit einem Schuldenstand von rund 237 Prozent des Bruttoinlandsprodukts! Zum Vergleich: In den USA liegt die Quote bei 121 Prozent nur halb so hoch, und Deutschland ist mit 63,6 Prozent nochmal deutlich geringer verschuldet.
Mit Blick auf Japan bedeuten steigende Renditen unweigerlich auch steigende Finanzierungskosten für den Staat. Zwar betonen Analysten wie Patrick Zweifel von Pictet Asset Management, dass Japans Rückzahlungsfähigkeit nach wie vor solide sei – doch die Nervosität am langen Ende der Kurve wächst.
Marktbeobachter sehen das Potenzial für neue Unruhe: "Was in Japan passiert, hat Auswirkungen auf andere Staatsanleihemärkte der Industrienationen", warnt Kathy Jones von Charles Schwab. Besonders betroffen sind die sogenannten Ultra-Long-Bonds – Laufzeiten von über 20 Jahren. Hier häufen sich Kursverluste, weil Anleger weltweit inflationsbedingte Zinsrisiken stärker einpreisen. Ein Anstieg der 30-jährigen Renditen sei keineswegs vom Tisch – im Gegenteil: "Die Inflation ist zäh, und ultralange Laufzeiten sind besonders anfällig", bestätigt Shoichi Tokuoka von Mitsubishi UFJ Asset Management.
Zwar versuchen manche Fonds wie die Allianz-Tochter Pimco, die aktuellen Kursrückgänge als technische Korrektur zu interpretieren. Doch selbst bei Pimco, mit einem Anlagevolumen von mehr als 2 Billionen US-Dollar einer der wichtigsten Bond-Investoren überhaupt, sieht man, dass der Markt nach Jahren staatlicher Dominanz erst lernen muss, sich eigenständig zu kalibrieren. Und im Verlauf dieses Prozesses kann es zu einer Menge Unruhen kommen.
In Summe entsteht ein neues globales Risiko: Ein ehemals stabiler Markt transformiert sich in einen Treiber für Turbulenzen – ausgerechnet in dem Land mit der höchsten relativen Staatsverschuldung unter den Industrienationen der Welt. Das kann weltweit erhebliche Auswirkungen haben. Die Wellen, die Tokio derzeit schlägt, reichen längst bis nach Frankfurt, London und New York.
Autor: Ingo Kolf, wallstreetONLINE Redaktion
