Globaler Anker
"Sell America" ist die falsche Wette – die Welt kauft Amerika
Explodierende Schulden, weltweite Zölle und Gefährdung der Fed-Unabhängigkeit – viele prophezeiten einen Vertrauensverlust in die USA. Doch die Anleger belehren sie eines Besseren: Die USA bleiben Anker des Finanzystems.
- USA bleiben Anker des Finanzsystems trotz Kritik.
- Hohe Nachfrage nach US-Staatsanleihen, Allzeithoch.
- Alternative Märkte kämpfen mit ähnlichen Problemen.
- Report: Platzt die Alles‑Blase?
Seit Donald Trump ins Weiße Haus zurückgekehrt ist, warnen Ökonomen und Investoren immer wieder vor einem drohenden Vertrauensverlust in die USA. Ausufernde Zölle, Steuersenkungen ohne Finanzierung, wachsende Defizite und politische Attacken auf die Notenbank – all das klang für viele nach einem Rezept für Kapitalflucht. "Sell America", lautete die Parole an der Wall Street. Doch das Gegenteil ist eingetreten: Investoren kaufen US-Staatsanleihen wie selten zuvor.
Der Markt für Treasuries im Wert von rund 30 Billionen US-Dollar hat sich 2025 um etwa 6 Prozent erholt und erzielt damit das beste Ergebnis seit dem Pandemiejahr 2020. Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen ist um einen halben Prozentpunkt gefallen und liegt bei rund 4 Prozent. Damit sind nicht nur die Kreditkosten für Staat, Haushalte und Unternehmen gesunken, sondern auch die schlimmsten Crash-Szenarien der Skeptiker verpufft.
Die Gründe liegen auf der Hand. Erstens bleibt die Inflation weitgehend unter Kontrolle, weil Unternehmen die gestiegenen Importkosten durch Zölle bisher nur teilweise an die Verbraucher weitergeben – laut der Fed von St. Louis etwa 35 Prozent. Zweitens spülen Trumps Zolleinnahmen von rund 30 Milliarden US-Dollar pro Monat zusätzlich Geld in die Staatskasse. Drittens hat das Finanzministerium den Schwerpunkt der Neuverschuldung auf kurzfristige Papiere verlagert – das senkt die Zinslast.
Hinzu kommt: Es gibt schlicht keine bessere Alternative. Andere große Volkswirtschaften kämpfen mit ähnlichen Problemen – hohen Schulden, politischen Unsicherheiten und stagnierendem Wachstum. In Europa und Asien steigen die langfristigen Renditen teilweise sogar: Deutschland lockert seine Schuldenbremse, Frankreich leidet unter Herabstufungen, und Japan erhöht die Zinsen.
"Wenn man sich die Alternativen ansieht, sind diese auch nicht frei von Herausforderungen", sagt Ruben Hovhannisyan, Fixed-Income-Fondsmanager bei TCW Group, gegenüber Bloomberg. "Die Analogie vom saubersten schmutzigen Hemd ist sehr, sehr treffend, und es gibt keine klare Alternative." Der US-Anleihemarkt bleibt der größte, liquideste und sicherste der Welt, bestätigen auch die Strategen von Pimco, der Vermögensverwaltungs-Tochter der Allianz und von Prudential IM.
Tatsächlich ist die Nachfrage enorm. Ausländische Investoren halten inzwischen 9,2 Billionen US-Dollar an amerikanischen Staatsanleihen – ein Allzeithoch. Trotz eines schwächeren US-Dollars, der die Renditen für internationale Anleger mindert, fließt weiter Kapital ins Land.
Selbst nach der jüngsten Zinssenkung der Fed sehen viele Fondsmanager in Treasuries eine attraktive Zuflucht. Denn wenn die Wirtschaft schwächelt und die Cash-Renditen sinken, flüchten Anleger in hochwertige festverzinsliche Wertpapiere, sagt Pimco-Investmentchef Daniel Ivascyn.
Auch US-Fondsmanager, die noch zu Jahresbeginn auf fallende Kurse gesetzt hatten, mussten ihre Wetten aufgeben. Wer im Januar zehnjährige Anleihen bei 5 Prozent Rendite verkauft hat, steht jetzt mit 4 Prozent da – und hat die Kursgewinne verpasst.
Trotz aller Kritik an Trumps Wirtschaftspolitik, der hohen Schulden und der politischen Polarisierung, bleiben die USA der Anker des globalen Finanzsystems. Weder China noch Europa können derzeit eine glaubwürdige Alternative bieten. Und solange das so ist, gilt:
"Sell America" war die falsche Wette – die Welt kauft Amerika.
Autor: Ingo Kolf, wallstreetONLINE Redaktion


