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     1870  0 Kommentare It was twenty years ago



    Die Generation Siebenundachtzig

    Herbstferien, Urlaubszeit. Nichts mit den Börsen am Hut. Sollen Sie doch machen, was sie wollen. Doch als ich am Freitag das Datum „19. Oktober 2007“ sehe, habe ich plötzlich so ein merkwürdiges Gefühl. Es dauert nicht lange, bis es mir einfällt. Genau, die Beatles und Sgt. Peppers: „It was twenty years ago today, Sgt. Pepper taught the band to play. They've been going in and out of style, but they're guaranteed to raise a smile.”

    Genau vor zwanzig Jahren ging innerhalb eines Tages die Börsenwelt unter. Am 19. Oktober 1987 verloren die Aktien innerhalb weniger Stunden fast ein Viertel ihres Wertes. Ich gehöre noch zu der tragischen „Generation Siebenundachtzig“, die durch dieses Erlebnis traumatisiert wurde und es ihr ganzes Leben über nicht vergessen werden. Das hat sich anlässlich der enormen Kursgewinne der Aktien seitdem natürlich als kontraproduktiv entwickelt, doch es ist nichts dagegen zu machen. Zu tief steckt dieses Erlebnis. Wer das erlebt hat, dem steckt die Angst für alle Zeiten wie ein Stachel im Fleisch.

    Natürlich gibt es heute Sicherungsmaßnahmen. So etwas an einem Tag wird nicht mehr passieren. Denn damals resultierte das Chaos aus einem ungehinderten Ablaufen automatischer Verkaufsprogramme, die heute rechtzeitig gestoppt werden. Außerdem gibt es heute ja ein wirksames PTT. Heute brauchen Verluste von einem Viertel wesentlich mehr Zeit. Das ist dann zwar nicht weniger tragisch, aber längst nicht so dramatisch und traumatisch.

    Ich weiß alles noch sehr gut. Damals gab es in Berlin einen Reuters-Monitor in der Geldautomatenhalle eines großen Bankhauses. Dort trafen sich alle Interessierten. Es war nicht mehr als eine Handvoll. Börsenfernsehen gab es noch nicht (außerhalb der deutschen Börsenzeiten). Und die Zeitungen berichteten nur sporadisch. Der Kursteil in den Zeitungen glänzte zum großen Teil in unbeschriebenem weiß am Folgetag. Und die meisten dennoch festgestellten Kurs waren repartierte Briefkurse und „gestrichen Taxe Brief“. All das ist heute gar nicht mehr denkbar.

    Am nächsten Tag musste ich zur Jahrestagung des „Vereins für Socialpolitik“, der elitären Standesvertretung deutscher Volkswirte nach Marburg. Ich war total geschockt, denn niemand erwähnte dort dieses Ereignis auch nur mit einem Wort. Es interessierte schlichtweg nicht. So viel für alle Zeiten zum Thema akademische Wirtschaftsforschung.

    Kurz bevor ich mich losmachte am Abend des 19. Oktober traf ich auf einen Freund, der zu einem Treffen des „Flugzeugspiels“ ging. Damals waren diese Schneeballspiele en vogue. Er fürchtete um 1.000 DM. Ich habe nur den Kopf geschüttelt, wie dumm man wohl sein konnte, da mitzumachen. Und hatte noch keine Ahnung, was mir an diesem Tag noch blühte. Es war ein Ereignis, für das man vorher sein Leben verwettet hätte, dass es nicht passiert. Es lag außerhalb jeder denkbaren Möglichkeit. Und selbst diejenigen, die einen Kursrückgang prophezeit haben, haben sich Derartiges nicht in Ansätzen vorstellen können.

    Heute ist es fast wieder wie damals.



    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    It was twenty years ago Die Generation Siebenundachtzig Herbstferien, Urlaubszeit. Nichts mit den Börsen am Hut. Sollen Sie doch machen, was sie wollen. Doch als ich am Freitag das Datum „19. Oktober 2007“ sehe, habe ich plötzlich so ein merkwürdiges …