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     4770  0 Kommentare Das ist das Ende!



    Impressionen der Krise

    Liebe Leser, vermutlich haben Sie seit Wochen das Haus nicht verlassen, verzichten auf alles und ernähren sich ausschließlich von Konserven, nur um diese epochale Krise, die wir gerade erleben, in Gänze an den Bildschirmen zu verfolgen. Und Sie tun Recht daran, denn was da draußen zu sehen ist, ist schrecklich und übertrifft alle menschlichen Vorstellungen. Machen Sie es also nicht! Schauen Sie nicht aus dem Fenster! Gehen Sie nicht heraus! Und bewahren Sie sich den letzten Rest an naiver Zuversicht und Würde, die ein Mensch noch haben kann.

    Aus diesem Grunde will ich Ihnen heute erzählen, was ich dort draußen in der letzten Woche erlebt habe und wie sich diese schreckliche Katastrophe tatsächlich bis in die letzten Winkel unseres Landes ausgebreitet hat, in die Berge und auf die Höhen, wo man ansonsten nichts von der Welt da drunten mitbekommt. Doch was ich auf meiner Bergwanderung gesehen habe, ist so erschreckend, dass ich es schlichtweg mitteilen muss.

    Nirgendwo herrscht mehr Frieden. Die Finanzkrise hat oben auf den Bergen zu den ersten Hungerkämpfen geführt. Auf den Berghütten kann nur noch in Gold bezahlt werden und überall kämpfen Mütter mit dem Mut der Verzweiflung um die letzten vertrockneten Brotkanten. Aus dem Tal ist die Kunde hoch gedrungen, dass die Währungen erratisch schwanken und die ersten Aktien auf null gefallen sind. Mutlose Väter haben sich daraufhin in Massen an den Gipfelkreuzen erhängt.

    Milch gibt es nur noch tröpfchenweise. Wer es schafft, eine Kuh zu erbeuten, verteidigt sie mit Elektrozäunen und Stacheldraht gegen die anrennenden Kohorten der Hungrigen. Der Himmel hat sich verfinstert, doch in dieser von den weltweiten Finanzmärkten verursachten Katastrophe ist die Klimakatastrophe kein Thema mehr. Selbst die letzten Zugvögel fallen jetzt mutlos zu Tausenden tot vom Himmel. Die Reise lohnt für sie nicht mehr. Bald wird alles nur noch Ödnis, Hunger und Kahlschlag sein.

    Schutzhütten werden demontiert, um wenigstens noch Brennmaterial zu haben. Autos sieht man gar keine mehr im Hochgebirge. Werden überhaupt noch welche produziert? Jemand, der vom Tal herauf kommt, erzählt, dass niemand mehr Heizen kann, obwohl das Öl fast nichts mehr kostet. Die Energieunternehmen haben die Arbeit eingestellt. Auch ihre Unternehmenswerte sind auf null gefallen. Tankstellen bieten das Benzin kostenlos an, nur um den Tankenden wenigstens noch die eine oder andere Flasche Schnaps zu verkaufen.

    An steilen Felswänden stellen sich ganze Familien an, um sich in den Tod zu stürzen. Der Andrang ist so groß, dass es das Leben so zwangsweise um Stunden verlängert. Doch eine Hoffnung ist nirgendwo mehr zu spüren. Als dann auch noch Bomben abgeworfen werden, weiß auch der Letzte, dass das Ende der Welt gekommen ist. Diesen Winter werden wir nicht mehr überstehen. Und auch eine Flucht wäre sinnlos. Die Bahn hat ihre Züge weitgehend ausrangiert.

    Dies ist das Ende der Welt. Jahrtausende lang haben wir Gottes Rache gefürchtet, ein paar Jahre lang uns vor der Strangulierung durch das Klima gegruselt. Doch jetzt müssen wir zornig bemerken, dass ein paar verantwortungslose Bankmanager es mit ihrem unverantwortlichen Tun geschafft haben, die gesamte Weltkugel aus der Umlaufbahn zu werfen. Machtlos treiben wir jetzt umher im dunklen Weltall und warten nur noch auf den großen Aufprall. Und der einzige Trost ist, dass wir den Bankmanagern jetzt nicht mehr böse sein können, da das Leben sowieso nun in Gänze seinen Endpunkt gefunden hat.



    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
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