checkAd

     3211  0 Kommentare Sind wir durch?


    Kein 1929, vielmehr Verdoppelung der Geldmenge

    Niemand kann sagen, ob wir die Tiefstpunkte in dieser Abwärtsbewegung bereits gesehen haben. Niemand kann dies wissen, ebenso wie niemand den absoluten Tiefpunkt zum Kaufen und den optimalen Zeitpunkt zum Verkaufen findet.

    Und letztlich sind diese Überlegungen auch zweitrangig. Denn niemals sollte man sein eigenes Handeln an Optimalitäten bewerten. Es ist nicht wichtig, am Tiefstpunkt gekauft zu haben, sondern überhaupt eingestiegen zu sein, wenn es Sonderangebote gibt.

    Der vergangene Freitag gibt durchaus Platz für Hoffnungen, denn dass die Märkte trotz schlechter Zahlen nicht weiter gefallen sind, kann durchaus als Hoffnungszeichen gewertet werden. Kann, muss aber nicht. Aber auch das ist letztlich nur zweitrangig. Viel wichtiger als derartige Sensitivitäten scheinen mit die folgenden Überlegungen zu sein.

    Jeder Anleger sollte beachten, dass gegenwärtig das Thema der „Systemkrise“ und der Bankenzusammenbrüche vorbei zu sein scheint. Jetzt reden wir über eine Wirtschaftsflaute. Doch das sollte eigentlich vertrautes Terrain sein und nach einer gewissen Eingewöhnungszeit keine übermäßigen Ängste mehr auslösen. Eine Wirtschaftskrise? Na und! Das kennen wir doch, da kommen wir schon durch!

    Jeder Anleger sollte außerdem beachten, wie expansiv sowohl die Finanzpolitik weltweit als auch ganz besonders die Geldpolitik derzeit agiert. Jeder Blick kann einen nur staunend machen. So hat die US-Zentralbank tatsächlich in wenigen Monaten ihre Bilanzsumme verdoppelt!!! Spiegelbildlich dazu hat sich Geldbasis ebenso verdoppelt!!! 1929 eine dramatische Schrumpfung, heute hingegen eine Verdoppelung.

    Das heißt: Die US-Banken haben jetzt doppelt so viel Geld in der Hand wie vor der Krise, um etwas daraus zu machen. Natürlich hakt dieser Prozess gegenwärtig noch. Das Misstrauen ist noch stärker als die Zuversicht. Doch das Vertrauen wird kommen. Und wenn es so weit ist, dann knallt es im positivsten Sinne.

    Jeder Anleger sollte daher wissen, dass damit das Thema „Weltwirtschaftskrise à la 1929“ vom Tisch ist. Denn jeder Anleger sollte sich informieren, dass die Hauptverursacher der damaligen Krise die Bankenzusammenbrüche 1929, die Geldmengenschrumpfung 1929 bis 1932 und die sowohl nominalen wie realen Zinserhöhungen waren.

    Natürlich gibt es weiterhin Unwägbarkeiten und durchaus negative Gewissheiten. Wir werden eine Rezession erleben mit deutlichem Negativwachstum. Und die Kapitalmärkte funktionieren immer noch nicht. Jeder Anleger möge nur auf die Kurse der Anleihen selbst bester Institute schauen. Oder auf den Devisenmarkt für Krisenwährungen. Für die isländische Währung werden derzeit beispielsweise Kurse von 180 zu 280 Kronen pro Euro genannt. Bei derartigen Spannen und Unsicherheiten ist ein normaler Handel oder eine marktmäßige Bewertung nicht möglich.

    Die Abschreibungen der Finanzbranche sind folglich bei weitem noch nicht geschehen. Und niemand kann heute sagen, wie weit sie gehen werden. Müssen isländische Pfund beispielsweise zu 180 bewertet werden? Oder doch eher zu 280? Sehr viele Risikopapiere notieren auf tiefstem Stand, und für viele gibt es immer noch keinen Markt. Dass jedoch selbst das, was gegenwärtig als „toxic waste“ bezeichnet wird, völlig wertlos werden kann, davon ist nicht auszugehen. Wenn die Immobilienpreise sich wieder erholen, mag das, was jetzt als leichthin in den Medien als Totalverlust bezeichnet wird, sich als durchaus werthaltig erweisen.

    Nehmen wir nur den Fall „Lehmann Brothers“. Vor der Krise besaß die Gesellschaft Assets im Werte von 248 Mrd. Dollar, davon jedoch alleine 41 Mrd. der Kategorie "Level3". Bei einem EK von 26 Mrd. ist dann ohne Hilfe von außen natürlich sehr schnell Schluss. Doch niemandem in den Medien scheinen grundlegende Bilanzkenntnisse geläufig zu sein, denn rein rechnerisch gilt: Selbst wenn das Eigenkapital zu 100% aufgezehrt ist, ist die Firma zwar Pleite, aber dennoch sind die Schulden auch dann immer noch zu 100% durch Vermögen gedeckt.

    Es wird also spannend werden, wie hoch die Verluste bei Lehmann im Endeffekt tatsächlich einmal sein werden. Ich denke, wir sind von dem Punkt nicht mehr weit entfernt, an dem die schlechtest möglichen Erwartungen in den Kursen eingepreist sind – in vielen Fällen also sogar der Totalverlust. Doch dann werden Totgeglaubte irgendwann plötzlich wieder Milch geben. Und spätestens dann ist es zum Kaufen zu spät. Das sollte jeder Anleger genau bedenken.


    Bernd Niquet
    0 Follower
    Autor folgen
    Mehr anzeigen
    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

    Mehr anzeigen
    Verfasst von Bernd Niquet
    Sind wir durch? Kein 1929, vielmehr Verdoppelung der Geldmenge Niemand kann sagen, ob wir die Tiefstpunkte in dieser Abwärtsbewegung bereits gesehen haben. Niemand kann dies wissen, ebenso wie niemand den absoluten Tiefpunkt zum Kaufen und den optimalen …