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     3752  0 Kommentare Endlich Millionär



    Sie dürfen gerne gratulieren !

    Man stelle sich einmal vor, mitten im größten Wohlstand ein Geld zu besitzen, das keiner will. Ein Geld, das man nicht verleihen kann, weil es niemand aufnehmen will. Ein Geld, mit dem sich auch keine Anlagegüter kaufen lassen und für das man keine Verzinsung bekommt.

    Was für ein komischer Gedanke – oder? Aber so etwas gibt es wirklich. Und leider besitze ich selbst sogar so etwas. Das ist sehr ärgerlich, andererseits aber auch eine sehr interessante Erfahrung, die mich hoffen macht, dass so etwas nicht so schnell noch einmal passiert.

    Vor einigen Jahren habe ich einen kleinen Anteil meines Portfolios in Islandkronen angelegt. Dahinter stand die Überlegung, dass im Krisenfall die großen Währungen wie Dollar, Yen und Euro ganz sicher hemmungslos entknappt werden, wohingegen die kleinen Währungen besser unter Kontrolle gehalten und deshalb an Wert zulegen werden. Und Island ist doch eines der reichsten Länder der Erde.

    Hinsichtlich des ersten Teils der Überlegung waren das durchaus richtige Gedanken, hinsichtlich des zweiten jedoch eine groteske Fehleinschätzung. Gekauft habe ich die Währung zu 100 Kronen für 1 Euro und immerhin 9 % Zinsen aufs Jahr dabei verdient. In der Krise im Oktober letzten Jahres wurde die Währung dann plötzlich nicht mehr geordnet handelbar und stand bei Kursen in einer Spanne von 160 fürs Kaufen zu 380 fürs verkaufen. Ich hätte also 380 Kronen geben müssen, um 1 Euro wieder zurück zu bekommen.

    In diesem Jahr hat sich die Spanne weiter angeglichen und notierte so etwa bei 170 zu 230 als meine Anleihe fällig wurde. Nur mit brachialer Gewalt habe ich meine Bank dazu bekommen, für mich ein Islandkronen-Konto zu eröffnen, um nicht ein Opfer dieser Spanne zu werden. Und jetzt bin ich, Sie können mir gratulieren, mehrfacher Millionär. Sieht wirklich erbauend aus, der neue Kontoauszug, eine wunderbare Sache!

    Meine Spekulation ist, dass sich der Wechselkurs verbessern und Island bald der EU beitreten wird und dann zu einem gemäßigten Wechselkurs den Euro übernimmt. So lange habe ich durchaus Geduld, zu warten. Das Problem dabei ist allerdings: Mit den Islandkronen ist nichts anzufangen. Sie sind zwar Geld, aber es gibt dafür nichts, jedenfalls nicht außerhalb von Island. Meine Bank bietet keine Verzinsung, ein Aktienkauf in Reykjavik ist nicht möglich, und der Anleihemarkt ist vollkommen ausgetrocknet. Denn einerseits will niemand in dieser Unsicherheit isländische Kronen leihen und eine neue Anleihe auflegen, und andererseits gibt es für keinen Besitzer existierender Anleihen eine Motivation, gerade jetzt sich von seinem Papier zu trennen.

    Neulich hat der Handel meiner Bank eine kleine Tranche erbeutet. Davon habe ich 400.000 bekommen, was für eine lächerliche Summe für einen mehrfachen Millionär wie mich. Und dann hast sich diese Teufelsbrut, die sich schon immer 1 Prozent von den Devisenmittelkursen abschneiden, sich sogar noch 2 Prozent vom Kurs in die eigenen Taschen getrickst. Es ist fast wie an Klondike und Yukon in Dawson City.

    So sitze ich also auf Millionen – und kann nichts damit anfangen. Für einen Urlaub in Island habe ich zu viele Kronen, für einen Immobilienkauf zu wenig, Gold gegen Islandkronen zu kaufen ist sinnlos, und ins Bordell zu gehen, dazu habe ich keine Lust. Ein bisschen fühlt sich das an, wie es sich sicherlich angefühlt haben muss in den großen Inflationen der Vergangenheit. Allerdings viel komfortabler, ohne Existenzgefährdung, fast wie ein moderner Abenteuerspielplatz. Durchaus lehrreich, eine völlig neue und unvergleichliche Erfahrung, hoffentlich aber kein Blick durch das Fernrohr in die Zukunft.

    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Endlich Millionär Sie dürfen gerne gratulieren ! Man stelle sich einmal vor, mitten im größten Wohlstand ein Geld zu besitzen, das keiner will. Ein Geld, das man nicht verleihen kann, weil es niemand aufnehmen will. Ein Geld, mit dem sich auch keine …