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     2375  0 Kommentare Die Quadratur des Irrsinns



    Dass ich von der Charttheorie nichts halte, muss ich an dieser Stelle wohl nicht extra betonen. Das ultimative Experiment dazu habe ich bereits im Jahr 1997 in meinem Buch „Der Crash der Theorien“ vorgelegt und dort gezeigt, dass es in einem gewürfelten Chart haargenau die gleichen Chartformationen gibt wie in einem Aktienkurschart. Entweder ist also die Charttheorie sinnlos – oder aber man kann damit auch die Anzahl der Augen beim Würfeln voraussagen. Und das muss jeder für sich selbst entscheiden.

    Ich bin jedoch bereit, einzugestehen, dass viele Chartformationen dennoch eine gewisse Aussagekraft haben, die sie aber ausschließlich im Zuge einer selbsterfüllenden Prophezeiung bekommen. Bei Charts, auf die die Handlungen Einzelner einen signifikanten Einfluss haben, wie bei Aktiencharts, kann es durchaus sein, dass durch das Hineinwirken der Prognose in ihren Gegenstandsbereich sie sich selbst wahr macht oder aber sich selbst verfälscht. Wenn genügend Marktteilnehmer an die Charttheorie glauben, werden sie sich danach richten – und so dieser Theorie zu einem gewissen Wahrheitswert verhelfen.

    In der letzten Woche habe ich allerdings Dinge lesen, die mich tatsächlich am Verstand einiger Menschen zweifeln lässt. Dabei ging es um den Itraxx-Index, der ein aggregiertes Bild der Gesamtlage an den Kreditmärkten abbildet und einen Maßstab für die Einschätzung europäischer Unternehmensanleihen abgibt. Und da zitiert die alt ehrwürdige FAZ doch tatsächlich aus einer technischen Einschätzung der DZ Bank: „Charttechnisch hat sich das Bild zuletzt etwas eingetrübt und der Index ist mittlerweile signifikant nach oben aus dem abwärts gerichteten Trendkanal ausgebrochen.“ Und dann schreibt die FAZ: „Die Bank hält eine Fortsetzung dieser Tendenz für gut möglich.“ Ob es jetzt vielleicht auch bald Wettercharts gibt?

    Kein Wunder, dass die Finanzmärkte beinahe zum Teufel gegangen sind, bei diesem Humankapital. Ich bin so fassungslos, dass mir nur ein einziges Vergleichsbeispiel einfällt. Es gibt auch heute noch Vertreter der Hohlwelttheorie, die glauben, dass wir in Wirklichkeit im Inneren einer großen Kugel leben. Und als Beweis hierfür führen sie an, dass doch bei allen unseren lange getragenen Schuhen die Sohle stets nach oben gebogen ist. Denn lebten wir tatsächlich auf der Außenseite, müssten sie doch schließlich nach unten gebogen sein. Wären sie etwas smarter, hätten sie vielleicht auch zusätzlich noch charttechnische Gründe nennen können.

    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Die Quadratur des Irrsinns Dass ich von der Charttheorie nichts halte, muss ich an dieser Stelle wohl nicht extra betonen. Das ultimative Experiment dazu habe ich bereits im Jahr 1997 in meinem Buch „Der Crash der Theorien“ vorgelegt und dort gezeigt, dass es in …