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     1442  0 Kommentare 1500 $ je Erdenbürger



    Neue Commerzbank Studie setzte dem Irrsinn die Krone auf

    Schreck in der Morgenstunde. Da steht doch tatsächlich morgens in meiner Zeitung „Die Welt“ die Überschrift: „Finanzkrise kostet jeden Erdenbürger 1500 Dollar“. Unsicher schaue ich mich um, denn ich bin sicher, dass sich hier jemand einen Scherz mit mir erlaubt hat. Gleich werden Sie sicher heraus platzen und zugeben, dass sie die Zeitung gefälscht haben, werden sagen, dass sie mich gefilmt haben, wie ich frühmorgens in meiner Schlafanzughose zum Briefkasten geschlurft und danach beinahe ins Taumeln geraten bin.

    „Finanzkrise kostet jeden Erdenbürger 1500 Dollar“, nein, so etwas kann „Die Welt“ nicht schreiben, denn „Die Welt“ ist nicht „Bild“, sondern eine seriöse Tageszeitung und hat mit Thomas Schmid einen herausragenden Chefredakteur, der so einen Blödsinn niemals durchgehen lassen würde. Aber vielleicht ist der Chefredakteur in Urlaub und man hat der Vertretung einen Streich spielen wollen, um sie auf alle Zeiten zu desavouieren?

    „Finanzkrise kostet jeden Erdenbürger 1500 Dollar“, was soll das überhaupt heißen? Und wer maßt sich an, so etwas zu berechnen? Es ist die Commerzbank. Oh je, denke ich, kein Wunder, dass gerade dieses Institut ohne Staatshilfe nicht überlebt hätte. Viel Sachverstand scheint dort nicht vorhanden zu sein.

    „Finanzkrise kostet jeden Erdenbürger 1500 Dollar“, sachlich macht eine derartige Aussage keinerlei Sinn. Denn was soll das bedeuten, sie „kostet“?

    Ich lese: „Die Finanzkrise wird die Weltwirtschaft bis Ende dieses Jahres rund 10500 Milliarden Dollar kosten.“ Und dann teilt man diese Summe durch die Erdbevölkerung, was für ein sinnvolles Unterfangen. Aber was bedeutet: Die Weltwirtschaft? Die Finanzkrise wird die Weltwirtschaft etwas kosten? Überweist jetzt die Weltwirtschaft Geld an die Finanzkrise, oder wie soll ich das verstehen? Hier scheinen wirklich keine begnadeten Geister am Werk zu sein.

    Später in dem Artikel werden die Zahlen aufgeschlüsselt in Abschreibungen der Banken, Wertverluste von Immobilien und den Einbruch der Weltwirtschaft. Ach so, doch wie man solche Zahlen addieren kann, erklärt niemand.

    Bei Bankabschreibungen handelt es sich tatsächlich um Kosten, zwar um einzelwirtschaftliche Kosten, die sich jedoch durchaus auch gesamtwirtschaftlich betrachten lassen.

    Wertverluste von Immobilien sind hingegen keinesfalls Kosten, schon gar nicht, wenn dadurch eine Blase abgebaut wird. Brechen also künstlich in die Höhe getriebene Immobilienpreise zusammen, ist das eine außerordentlich gesunde Entwicklung, die langfristig eher Stabilisierungserträge bringt als Kosten darstellt. Irgendjemand ist hier bei der Commerzbank also wohl immer noch auf dem falschen Trip.

    Und entgangene Einkommen durch ein niedrigeres Wachstum der Weltwirtschaft sind nun auch im Entferntesten nichts, was mit Kosten in Verbindung zu bringen ist. Ausbleibende Einkommen sind keine Kosten, denn wer sollte hier denn bitte was abschreiben und bilanzieren?

    Der ganze Unsinn, der hier von Bankenseite publiziert und von den Medien – wie immer !!! (auch „Spiegel-Online“ berichtet genauso unreflektiert wie „Die Welt“) – völlig unkritisch publiziert wurde, beinhaltet also keinerlei sachlich richtige Information, sondern zielt ausschließlich dumpf auf das Gefühl der Menschen ab. Jetzt haben alle eine epochale Krise angekündigt, die anscheinend doch nicht so eintritt wie erwartet, jetzt muss man sich nachträglich eben wenigstens mit Kostenrechnungen rechtfertigen.

    Es ist ein beschämendes Spiel: Vorher hat niemand von den Etablierten in den Banken und den Medien etwas gesagt, doch jetzt überschlagen sie sich fast in ihrem Krisengetrommel. Und was mir wirklich Angst macht: Ich verstehe wirklich von fast allen Dingen dieser Welt gar nichts, nur von diesem kleinen Finanzbereich etwas. Und wenn ich sehe, was mir hier für Lügen und Unsinn aufgetischt werden, muss ich davon ausgehen, dass das in anderen Bereichen auch nicht anders ist, nur dass ich davon gar nichts merke.

    Und was dann dem Übel noch die Krone aufsetzt, ist dieses ganze Gerede, man müsse doch aus der Krise lernen und dass das mit den undurchschaubaren Finanzprodukten nicht noch einmal passieren dürfe. Und dann bringt die selbe Zeitung, die das anprangert, nur zwei Seiten später ausführliche Tipps, wie man derzeit am besten mit Derivaten à la Baisse spekuliert.

    An dieser Stelle kann man schließlich gar nicht mehr weiter reden. So ist sie eben, unsere Welt, und so wird sie immer bleiben. Im Reden sind sie alle gut, im Handeln eher nicht. Und die Konsequenz bei anderen anzumahnen ist allemal leichter als sie selbst zu ziehen.

    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    1500 $ je Erdenbürger Neue Commerzbank Studie setzte dem Irrsinn die Krone auf Schreck in der Morgenstunde. Da steht doch tatsächlich morgens in meiner Zeitung „Die Welt“ die Überschrift: „Finanzkrise kostet jeden Erdenbürger 1500 Dollar“. Unsicher …