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     1845  0 Kommentare Das wirkliche Problem der Staatsschulden



    Die Politik erzählt Unsinn

    Es ist eine vielgehörte Botschaft, dass unsere hohen Staatsschulden spätere Generationen belasten. Diese Botschaft ist so gängig, dass niemand sie mehr anzuzweifeln scheint. Ja, nicht einmal hinterfragt wird sie noch. Doch ist sie wirklich richtig?

    Wenn der Staat heute 100 Milliarden Euro Schulden am Kapitalmarkt aufnimmt, was passiert dann? Dann zeichnen jetzt lebende Menschen für 100 Milliarden Anleihen und geben dafür 100 Milliarden in Geld. Dies stellt nicht mehr als einen Aktivtausch in ihrem Portfolio dar. Der Staat hat nun zwei Möglichkeiten, das Geld zu verausgaben. Entweder investiert er es, in die Infrastruktur beziehungsweise die Ausbildung seiner Bevölkerung, oder aber er verkonsumiert es und zahlt Transfers an diejenigen, die sich selbst nicht helfen können (oder wollen).

    Blenden wir nun 50 Jahre weiter und vereinfachen wir etwas: Alle Leute, die bei Kreditaufnahme gelebt haben, sind jetzt tot. Und alle, die jetzt leben, waren bei Kreditaufnahme noch nicht geboren. Nur die Anleihen laufen noch weiter. Betrachten wir nun zuerst, wofür das Geld damals ausgegeben wurde. Wir sehen dabei, dass das letztlich egal ist. Die Infrastruktur ist längst abgeschrieben, diejenigen, denen zusätzliche Bildung zuteil wurde, sind längst tot, ebenso wie die Transferempfänger. Aber: Die damaligen Ausgaben haben das System gesichert, haben Krisen vermieden und dazu beigetragen, den Wohlstand über die Zeit zu transportieren. Zu quantifizieren ist das freilich nicht.

    Spätestens in diesem Moment hat man unweigerlich die Intuition, dass somit das Geld weg ist, die Ausgaben sind verpulvert, aber die Schulden sind immer noch da. Die These von der Lastenverschiebung muss also richtig sein, signalisiert uns unsere innere Empfindung. Doch hält das der logischen Überprüfung stand?

    Zuerst ist einmal festzuhalten, dass ein Vermögensverlust in der Bevölkerung nicht stattgefunden hat: Die Bürger vor 50 Jahren hatten 100 Milliarden Staatstitel besessen, dann sind sie gestorben und haben 100 Milliarden an ihre Kinder vermacht. Da die Staatsanleihen so breit gestreut sind, dass sie allesamt unter die Freibeträge der Erbschaftssteuer fallen, besitzen also auch die heutigen Bürger noch die vollen geerbten 100 Milliarden. Und nicht nur das, sie haben sogar den Anspruch auf jährliche Zinszahlung.

    Wer ist da jetzt also belastet in der späteren Generation? Belastet sind anscheinend diejenigen, die für die Zinsen und die Rückzahlung aufzukommen haben, also die Steuerzahler der späteren Generation. Aber sind sie nicht auch diejenigen, die die Staatstitel halten? Genau so ist es!

    Die spätere Generation ist in der Summe also damit belastet, an sich selbst Zinsen und Tilgung der Staatsverschuldung zu zahlen. Einerseits ist das für die spätere Generation eine tatsächliche Belastung, doch diese Belastung hat nichts mit der klassischen Lastenverschiebung an spätere Generationen zu tun, wie das immer behauptet wird. Die frühere Generation hat sich nicht zu Lasten der späteren bereichert, indem sie Ausgaben getätigt hat, für die die spätere Generation aufzukommen hat.

    Sie hat dieser jedoch die Belastung eines Verteilungskampfes vererbt. Denn aufgrund der Staatsverschuldung sind die Steuern höher, die alle zu zahlen haben, die jedoch in diesem Zusatzteil nur denjenigen zu Gute kommt, die auch über das entsprechende Vermögen verfügen. Von der Staatsverschuldung profitieren somit tendenziell diejenigen Erben, die wenig Steuern zahlen und viel Vermögen besitzen, wohingegen diejenigen mit wenig Vermögen und hoher Steuerlast belastet werden.

    Doch um diesen Effekt fassen zu wollen, müsste man jetzt noch dagegenrechnen, wie weit die Ausgangsposition im Leben dieser Erben denn durch die frühere Staatsausgabenerhöhung positiv beeinflusst worden ist. Und hier können plötzlich völlig andere Gewinner zu Tage treten als in der reinen Vermögensrechnung.

    Im Unterschied zur konventionellen Alttagsweisheit sind die intergenerativen Effekte der Staatsverschuldung also wesentlich diffiziler zu beurteilen. Eindeutige und plakative Aussagen, wie sie in der politischen Auseinandersetzung Gang und Gäbe sind, erweisen sich letztlich als unhaltbar. Sobald die Staatsverschuldung nicht zum Staatsbankrott führt, sind ihre Wirkungen gleichermaßen positiv wie negativ für die kommenden Generationen.

    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
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