Smart Investor Weekly 27/2011: Was lange währt – wird gut?
Aktive Bürger
Man fragt sich, warum brauchte das Gericht so lange? Sicherlich bedarf eine derartige Klage einer längerfristigen Prüfung – aber mehr als ein Jahr verstreichen
zu lassen, ohne sich zu der Beschwerde in irgendeiner Weise zu äußern?Auch dient die Verhandlung quasi als Pilotprojekt. Verhandelt werden nämlich nur die Klagen der Gruppe um Prof. Karl Albrecht
Schachtschneider sowie die des Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler (vgl. Smart Investor 3/2011, S.60). Darüber hinaus sind aber noch viele weitere Verfassungsbeschwerden anhängig, nicht zuletzt
die der Europolis-Gruppe um Prof. Markus C. Kerber (vgl. Smart Investor 7/2011, S. 26). Einige Eurokritiker unterstellen dem Gericht, sich nicht gegen die Politik stellen zu wollen und sehen darin
den Grund für die lange Untätigkeit der Verfassungsrichter. Man könnte auch auf die Überbeschäftigung der Richter hinweisen, schließlich galt es wesentlich wichtigere Urteile zu fällen, wie jenes
zu der Zwangsmedikation eines im Maßregelvollzug Untergebrachten. Vielleicht aber liegt der wahre Grund ganz woanders: Die Richter wollten den Bürgern die Chance zur aktiven Teilnahme an der
Bürgerschaft geben. Schließlich wurde das Jahr 2011 vom Europaparlament zum „Europäischen Jahr der Freiwilligentätigkeit zur Förderung der aktiven Bürgerschaft“ auserkoren. Dank des Zögerns des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) kann der Bürger beispielsweise mittels Onlinepetitionen (siehe Smart Investor Weekly 26/2011) gegen den Europäischen Rettungsschirm selbst aktiv werden.
Im Namen des Volkes
Aber Scherz beiseite: Nüchtern betrachtet spielt es keine Rolle, wieso sich das BVerfG so lange Zeit lies, noch wie viele Klagen verhandelt werden. Denn das Ergebnis der Verhandlung (also das
Urteil) steht doch schon lange fest, auch wenn der Wortlaut noch nicht geschrieben ist: Das Bundesverfassungsgericht wird den Teufel tun, die Hilfen für die privaten Gläubiger Griechenlands (die
Bezeichnung Griechenlandhilfe bzw. -rettung ist völlig irreführend, denn geholfen wird allen möglichen Gruppierungen, nur ganz gewiss nicht den Griechen) für nichtig zu erklären. Für das Warum und
Weshalb werden sich sicherlich gedrechselte juristische Formulierungen finden – bestenfalls wird das BVerfG die bisherigen politischen Entscheidungen rügen und Nachbesserungen verlangen. Die dann
entsprechend gesetzte Frist dürfte einfach so verstreichen, denn ökonomische Gesetzmäßigkeiten haben, wenn sie einmal ins Rollen geraten sind, die unangenehme Eigenschaft nicht auf die politisch
Handelnden zu warten. Soll heißen: die Situation dürfte sich dann bereits so weit entwickelt haben, dass die angeordneten Nachbesserungen Makulatur sein werden. Aber wer weiß, vielleicht sind wir
einfach nur zu pessimistisch und die Verfassungsrichter überraschen uns mit einem für den Herbst erwarteten Urteilspruch, der die Präambel „Im Namen des Volkes…“ tatsächlich verdient. Die Hoffnung
stirbt zuletzt. Und damit zu den Märkten.