Smart Investor Weekly 37/2012:
Nach dem Spruch – Welche Realität wir jetzt anerkennen müssen
Großes „JA“, kleines „aber“
„Im Namen des Volkes“ wollen sie heute gesprochen haben, die Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), als sie die
Eilanträge gegen den ESM-Vertrag an ihren roten Roben abperlen ließen. Damit bestätigte sich, was die meisten Beobachter erwartet hatten. Eine Erwartung allerdings, die vor allem auf der
politischen Überlegung beruhte, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nicht zum letzten geschichtlichen Sargnagel des praktisch gescheiterten Euro-/EU-Prozesses werden wollte. Nun wird die
„Dritte Gewalt“ halt als Teil eines erneuten deutschen Totalausfalls von Rechtsstaat, Gewaltenteilung und Demokratie ihren Platz in den Geschichtsbüchern künftiger Generationen finden. Uns
jedenfalls ist kein ernsthafter Kommentator bekannt, der den ESM-Vertrag juristisch(!) – und darum ging es – aus voller Überzeugung als verfassungskonform eingestuft hätte. Nicht einmal das BVerfG
selbst konnte das „nach summarischer erster Prüfung“ in den heutigen Beschlüssen zu den Eilverfahren – im Zweifel für die Politik. Es ist entlarvend für den Zustand unseres Gemeinwesens, dass den
Richtern um Voßkuhle ohnehin kein ernsthafter Widerstand zugetraut wurde. Die Überlegungen im Vorfeld verdichteten sich auf die Frage, mit welchen juristischen Verrenkungen das BVerfG es schaffen
würde, den ESM-Vertrag doch noch irgendwie auf den Schienen zu halten. Nicht einmal gemessen an seiner eigenen früheren Rechtssprechung ist dies gelungen. Die Begrenzung der deutschen Haftung auf
„nur“ 190 Mrd. EUR hat erkennbar Alibi-Charakter, da der Bundestag mit volkskammerähnlichen Mehrheiten auch künftigen Ausweitungen eilfertig zustimmen wird – und die kommen so sicher wie das Amen
in der Kirche.
Wer in der EU auf das Recht setzt, verliert
Mit unserer zurückhaltenden Einschätzung der Märkte haben wir uns nach den negativen Resultaten mit der Griechenland-Anleihe zum zweiten Mal eine blutige Nase geholt – beide Male aus dem selben
Grund: Nach den atemberaubenden Rechtsbrüchen beim Teilbankrott Griechenlands hielten wir es zwar keineswegs für sicher, aber dennoch für eine Option, dass sich das Recht angesichts der
Unsäglichkeit des ESM-Vertrages, wenigstens ein klein wenig gegenüber den Anmaßungen der Politik behaupten werde. Wir haben uns geirrt. Der Einzige, von dem die Einhaltung von Recht und Gesetz in
der EU noch erwartet, ja gefordert wird, ist der Bürger selbst. Die Euro-Politik dagegen zeigt sich immer deutlicher (zuletzt auch in Gestalt der EZB) als jenseits von Recht, Gesetz, Vertrag und
Mandat. Sie ist ihrem Wesen nach diktatorisch. Die Rolle von Gerichtsbarkeit und Medien ist in einer solchen Diktatur darauf beschränkt, zu rechtfertigen und das Volk still zu halten. Die bittere
wechselseitige Kausalität des überschuldeten Staates lautet: Er ist auf die Finanzindustrie als Absatzkanal ebenso angewiesen, wie die Finanzindustrie auf eine Politik in deren Sinn – eine perfekte
Symbiose. Dem Bürger als „Souverän“ bleibt bei diesem abgekarteten Spiel im eigenen Haus nur noch die Rolle des fassungslosen Zaungasts, dessen Mitwirkung sich darauf beschränkt, sich möglichst
geräuschlos um seine Lebensersparnisse bringen zu lassen.