Smart Investor Weekly SIW 10/2013
„Japanische Verhältnisse“
Deflation und Rezession
Unter „japanischen Verhältnissen“ verstand man seit dem Platzen der großen Blase zum Jahresende 1989 eine Wirtschaft, die nicht mehr recht Tritt
fassen konnte. Zwar lief der Export weitestgehend ungestört weiter, in der Binnenwirtschaft knirschte es aber aufgrund der negativen Vermögenseffekte sinkender Aktien- und Grundstückspreise
gewaltig. Nur durch eine unübersehbare Anzahl sogenannter Konjunkturprogramme konnte der Anschein eines „Business as usual“ auf niedrigem Niveau gewahrt werden – zumindest oberflächlich.
Tatsächlich dürften auch diese Staatseingriffe kontraproduktiv gewesen sein. Nicht nur wurde eine ansonsten eher kurze, dafür aber umso heftigere Bereinigung der vorangegangenen Exzesse auf
Jahrzehnte(!) hinausgezögert, diese Politik des „Zeitkaufens“ führte im Ergebnis auch zu einer exorbitanten Staatsverschuldung von aktuell mehr als 235% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Eigentlich
ein schönes Lehrbeispiel auch für die aktuelle EU-„Rettungspolitik“ – wenn man denn lernen wollte. Gewiss, bei uns ist alles anders und natürlich besser. Aber selbst zwischen der beschleunigten
Vergreisung Japans und der desolaten Wirtschaftslage dürfte es Rückkoppelungen geben. Ohne Zuversicht in die Zukunft sinkt ganz einfach die Bereitschaft, Kinder in die Welt zu setzen – es sei denn,
der Staat bezahlt dafür. Zwar erfolgt das Jammern in den großen Industrieländern derzeit noch(!) immer auf einem relativ hohen Niveau, das wird jedoch – nicht nur in Japan – durch ständige
Staatseingriffe kontinuierlich abgesenkt. Für die Bürger ist ohnehin die eigene Wahrnehmung der Lage und die eigene Einschätzung der Zukunft entscheidender als die „objektiven“ Verhältnisse, wobei
die Ahnungen von heute oft genug zur Gewissheit von morgen werden.
Akte der Verzweiflung
Betrachtet man den Nikkei 225, Leitindex der großen japanischen Unternehmen, dann könnte man auf die Idee kommen, dass
die Sorgen um die Volkswirtschaft des Landes der Vergangenheit angehören. Dem ist nicht so. Was nach Aufbruchsstimmung aussieht, hat nur im übertragenen Sinn etwas mit „Aufbruch“, besser mit
„Aufbrechen“ zu tun – und zwar im Sinne von „Crack-up“. Es waren die Verzweiflungsmaßnahmen der seit Dezember 2012 im Amt befindlichen Regierung Abe – unterstützt durch die Notenbank, die Bank of
Japan – die dieses Kursfeuerwerk gezündet haben. Ein bewusstes Anheizen der Inflation und eine planvolle Schwächung der Währung beflügelten dann den Aktienmarkt und die Exporttitel der Insel. Für
Anleger ist der Wille zur Inflation, dem der Staat nun auch Taten folgen lässt, eine echte Bedrohung: Niedrigzinsen und angeheizte Geldentwertung treiben das Kapital aus den Staatsanleihen heraus und in die Aktien hinein. Wir werden uns wohl daran gewöhnen müssen, dass der Begriff „Japanische Verhältnisse“ fortan nicht mehr
eine anämische Volkswirtschaft meint, die sich nur mit Mühe auf der Nulllinie halten kann, sondern eine mit billigem Geld überversorgte Scheinblüten-Wirtschaft. Im aktuellen Smart Investor, Ausgabe
3/2013, widmen wir uns in der Titelstory ausführlich dem „Land der aufgehenden Supernova“ und der Frage, wie Anleger von dem dort beginnenden Crack-up-Boom profitieren können.