EZB-Geldpolitik
Ökonomen fordern: Überweist jedem EU-Bürger 10.000 Euro!
Der Einstieg der Europäischen Zentralbank ins „Quantitative Easing“, also dem Ankauf von Wertpapieren, scheint nur noch eine Frage der Zeit. Doch anstatt Geld in die Hand zu nehmen, um den Finanzsektor zu retten, sollte die EZB das Geld lieber direkt den Bürgern überweisen, findet Daniel Stelter.
Nein, Daniel Stelter und die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) werden wohl keine besten Freunde mehr. In einem Beitrag für die „WirtschaftsWoche“ bezeichnete der ehemalige Berater der Boston Consulting Group und Gründer des makroökonomischen Forums „Beyond the obvious“ die Euro-Rettung der EZB als „Pyrrhussieg“: kurzfristig habe die EZB-Politik die Schmerzen zwar gelindert, jedoch den langfristigen Schaden maximiert, schrieb Stelter damals (wallstreet:online berichtete). Zuletzt sorgte auch ifo-Präsident Hans-Werner Sinn mit einer harschen Kritik am "Irrweg der EZB" für Aufsehen, wie wallstreet:online berichtete.
EZB-Maßnahmen "wirkungslos"
Inzwischen dürften EZB-Mario Draghi womöglich selbst mehr und mehr Zweifel beschleichen, ob seine Euro-Rettungsmission tatsächlich so erfolgreich war. Statt Stabilität und Wirtschaftsboom herrscht in der Euro-Zone Stagnation und Überschuldung. Die EZB stemmt sich seit Monaten vehement gegen eine solche Entwicklung. Im August beließ sie den Leitzins abermals auf dem historischen Tief von 0,15 Prozent. Es ist bereits der dritte Monat in Folge und ein Ende der Niedrigzinspolitik ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, parallel zum niedrigen Leitzins wurde im Juni gar erstmals ein Negativzins für Bankeneinlagen eingeführt. Es sind die fast schon verzweifelten Versuche der EZB, die Kreditvergabe zu erhöhen. Geholfen hat es bislang wenig, noch immer stagniert die Wirtschaft und noch immer spukt das Gespenst der Deflation durch die Euro-Zone. Seit Monaten warnen Politiker, Notenbanken, die Weltbank und zuletzt sogar Marion Draghi selbst eindringlich vor den Gefahren einer Deflation.
Dass die Geldpolitik bislang weitgehend erfolglos blieb, ist für Daniel Stelter keine Überraschung. Er hält die Maßnahmen der EZB schlichtweg für „wirkungslos“ und das aus einem einfachen Grund: Billiges Geld helfe nur dann, wenn die potenziellen Schuldner noch über beleihbares Eigentum verfügten und auch bereit seien, dieses Eigentum zu beleihen, weil sie attraktive Investitionsmöglichkeiten sehen. In einem Umfeld der Rezession würden Unternehmen dies nicht sehen, und private Haushalte würden sich ebenfalls mit neuen Schulden zurückhalten, wenn Arbeitslosigkeit drohe und die Preissteigerung gering sei, schreibt Stelter in einem Beitrag für das „manager-magazin“.
Auch "Quantitative Easing" wird nichts nützen
Statt also die Kreditvergabe anzukurbeln und so der Realwirtschaft wieder auf die Beine zu helfen, versandet das frische Geld der EZB in den Finanzmärkten. Davon wiederum profitieren nur diejenigen, die ohnehin über Vermögen verfügen, beim kleinen Mann auf der Straße kommt das Geld dagegen nicht an.
Aus diesem Grund hält Stelter auch nichts vom letzten Pfeil, den sich die EZB noch in ihrem Köcher aufbewahrt hat. Die Rede ist vom Ankauf von Wertpapieren. Zuletzt hatte die Europäische Zentralbank immer wieder durchblicken lassen, diesen Pfeil in naher Zukunft auch zu ziehen, sollte die Inflation weiterhin auf einem derart niedrigen Niveau verbleiben. Insofern scheint ein so genanntes „Quantitative Easing“ nur eine Frage der Zeit.
Laut Stelter nützt das lediglich dem noch immer maroden europäischen Bankensystem. Allerdings werden die Banken das Geld auch weiterhin nicht in die Wirtschaft leiten. Was also tun? Darauf hat Daniel Stelter eine ganz einfache Antwort: Anstatt immer mehr frisches Geld in den Finanzsektor zu pumpen, sollte die EZB es den EU-Bürgern einfach direkt überweisen.
10.000 Euro für jeden EU-Bürger
Das mag zunächst populistisch klingen. Doch Stelter ist bei weitem nicht der Erste, der Notenbanken dazu auffordert, das Geld direkt an die Bürger weiterzugeben. Schon vor einigen Jahren hatte der australische Ökonom Steve Keen mit diesem Vorschlag auf sich aufmerksam gemacht und aktuell fordern auch Mark Blyth, Wirtschaftsprofessor an der Brown University, und der Hedgefondsmanager Eric Lonergan in einem gemeinsam Beitrag für „Foreign Affairs“ die Zentralbanken dazu auf: „Print Less but Transfer More“.
Soweit zur akademischen Unterstützung. Stelter selbst beruft sich auf den so genannten „Cantillon-Effekt“ des Ökonomen Richard Cantillon aus dem Jahr 1743, wonach frisches Geld jenen am meisten nutze, die es als Erstes bekommen. Zurzeit profitierten allein die Akteure an den Finanzmärkten und die Banken von diesem Effekt, argumentiert Stelter und fragt: „Wäre es nicht besser, stattdessen das frische Geld den Bürgern direkt zu geben?“
Angesichts der drei Billionen Euro, die die EZB für ihr „Quantative Easing“ wohl bereitstellen wird, wären das bei rund 330 Millionen Einwohnern in der Euro-Zone immerhin stolze 10.000 Euro pro Kopf.
Risiko oder Chance?
Kritikern, die diesen Vorschlag vorschnell als „undenkbar“ abtun wollen oder die fehlende „soziale Komponente“ bemängeln werden, entgegnet Stelter: „(…) Ist es wirklich gerechter, das Geld dem Finanzsektor zu geben?“ Seine Antwort lautet Nein, stattdessen vermutet er ein ganz anderes Risiko: Sollten die Bürger tatsächlich plötzlich ein 10.000 Euro-Geschenk der EZB auf ihren Kontoauszügen finden, so könnte ihnen dadurch klarwerden, dass in unserem Geldsystem Geld wahrlich „aus dem Nichts“ erschaffen werden kann, so Stelter. In der Folge könnte das Vertrauen schwinden und die Rufe nach einer Reform der Geldordnung lauter werden. Fragt sich nur: Wäre das tatsächlich ein Risiko oder vielmehr sogar eine Chance?