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    Eklat bei Günther Jauch  3276  5 Kommentare Varoufakis und der Stinkefinger: Hat er oder hat er nicht?

     

    Yanis Varoufakis auf Schmusekurs: In einer Talksendung schlägt der griechische Finanzminister tatsächlich versöhnliche Töne an. Doch seine Worte werden überschattet von einem „unbedeutenden Liquiditätsproblem“ und der Frage: Hat er oder hat er nicht den Stinkefinger gezeigt?

    Stefan Effenberg hat es schon getan, Wolfgang Clement auch, sogar Ex-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Sie alle haben ihn gezeigt … öffentlich… den Stinkefinger. Geht es nach einem Video, das bei YouTube zu sehen ist, reiht sich auch der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis in die Hall of Stinkefinger-Fame ein.

    Das Video zeigt Varoufakis 2013 bei einer Konferenz in Zagreb - wohlgemerkt damals als Professor der Ökonomie und nicht als Finanzminister seines Landes. Darin sagt er: „Mein Vorschlag war, dass Griechenland sich einfach für insolvent erklären sollte, innerhalb der Euro-Zone, im Januar 2010. Und es sollte Deutschland den Finger zeigen und sagen: Ihr könnt das Problem jetzt alleine lösen.“ Seine Geste, während er das sagt, ist unmissverständlich: Er zeigt den Mittelfinger.

    Im Video ist das bei Minute 01:46 zu sehen:

    „Eine Fälschung“

    Doch genau das bestreitet Varoufakis vehement. Als ihn Günther Jauch in seiner gestrigen ARD-Talkrunde mit eben jenem Video konfrontiert, wird der griechische Finanzminister ungehalten: „Dieses Video ist falsch, das ist getürkt, diesen Finger habe ich nie gezeigt.“ Der Finger sei reinmontiert worden, behauptet Varoufakis. Einem etwas ratlos dreinblickenden Jauch versichert er: „Das sage ich Ihnen ohne Zweifel zu, nehmen Sie es einfach hin.“

    Es ist der Höhepunkt einer Sendung, die man wohl ARD-intern nicht ganz zu Unrecht als „Coup“ feiert. Zum ersten Mal stellt sich Varoufakis, „der Euro-Schreck“, wie ihn Jauch anmoderiert, einer deutschen Talkrunde. Und der griechische Finanzminister, von Jauch auch als "italienischen Bruce Willis" (sic!) oder auch "Yanis Yaroufakis" (sic!) bezeichnet, beweist sich einmal mehr als gewiefter Medien-Profi. Aus Athen zugeschaltet, lässig vor einem Bücherregal sitzend, mit offenem Hemdkragen, beantwortet er Frage um Frage.

    Versöhnliche Worte aus Athen

    Der Maulkorb, den ihm Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras verpasst haben soll (wallstreet:online berichtete), zeigt offenbar seine Wirkung. Von polternden Äußerungen wie „Troika-Waterboarding“ oder Drohungen, Deutschland solle sich aufs Schlimmste gefasst machen, mit denen Varoufakis in den letzten Wochen immer wieder Schlagzeilen machte, fehlte an diesem Sonntag jede Spur. Stattdessen gab es versöhnliche Töne. Deutschland und Griechenland müssten „mit einer Stimme sprechen“ und gemeinsam am „Haus Europa“ bauen. Varoufakis versprach, „alles zu unternehmen, um jeden Euro zurückzuzahlen.“ Gleichzeitig warb er um Verständnis für die griechische Situation. Man wolle das Geld zurückzahlen, doch das gehe nur, wenn man auch wachsen kann. Deutschland solle Griechenland deshalb helfen, wieder zu wachsen. Mit einem gemeinsamen Wachstumspakt könne Griechenland auch die Kredite bedienen.

    „Ein unbedeutendes Liquiditätsproblem“

    „Varoufakis auf Schmusekurs“, „Griechischer Finanzminister wirbt für Verständnis“, „Er kann auch versöhnlich“ – Es sind Schlagzeilen wie diese, die am Morgen danach die Medienlandschaft hätten dominieren können. Konjunktiv, denn tatsächlich ist der Tenor ein ganz anderer und daran ist Varoufakis selbst schuld. Schon nach der ersten Antwort war klar, wie die morgigen Schlagzeilen lauten würden. Varoufakis nannte die Situation in Griechenland ein „unbedeutendes Liquiditätsproblem“, das Europa nicht auseinander treiben dürfe. Auf die Frage, ob Griechenland noch vor Monatsende pleite sein wird, entgegnete er: „Wir in der griechischen Regierung tun unser Bestes, um sicherzustellen, dass alle Gläubiger ihr Geld zurückbekommen.“

    Varoufakis schießt zwei Eigentore

    Und so sind es nicht die versöhnlichen Worte Varoufakis', die im Gedächtnis hängen bleiben, sondern das „unbedeutende Liquiditätsproblem“ und das „Mittelfingergate“ (Süddeutsche Zeitung). Damit dürfte sich der griechische Finanzminister gleich zwei Eigentore geschossen haben. Zum Einen hat er die Chance verspielt, die Jauch-Sendung als Plattform zu nutzen, um ein Zeichen der Versöhnung zu senden. Denn die versöhnlichen Töne, die er tatsächlich angeschlagen hat, und die Vision vom "Haus Europa" drohen in der Stinkefinger- und Liquiditätsproblem-Debatte unterzugehen. Darüber hinaus hat er sich durch seinen Vorwurf, das Video sei gefälscht, angreifbar gemacht und sich als potenzieller Lügner entlarvt. Eine Rechtfertigung für den erneuten deutschen Zeigefinger?

    Das "Haus Europa" ging unter - ARD hat Chance vertan

    Von der Vision vom „Haus Europa“, die den Gesprächsauftakt bildete, war im weiteren Verlauf der Sendung kaum noch die Rede. An diesem Ideal, so Varoufakis zu Beginn der Sendung, sei in den vergangenen Jahren viel Schaden angerichtet worden. Es sei an der Zeit, Brücken zu schlagen und das „Haus Europa“ gemeinsam und als Heimat aller Europäer zu errichten. Platte Stereotype von dem Griechen oder dem Deutschen gelte es abzubauen und gemeinsam Lösungen zu finden. Von einseitigen Aufkündigungen bestehender Vereinbarungen war im Gegensatz zu frühen Äußerungen des griechischen Finanzministers nicht die Rede. Doch wie das gemeinsam bewältigt werden könnte, interessierte Talkshow-Host Jauch nicht. 

    Somit bleiben nur die "unbedeutenden Liquiditätsprobleme" und der "Stinkefinger" in Erinnerung. Und ein schwacher Moderator, der dem griechischen Finanzminister zum Schluss paternalistisch auf den Weg gab: "Sie haben sich tapfer geschlagen." Auch die ARD hat ihre Chance vertan.





    wallstreetONLINE Redaktion
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