Junge Generation ist größter Verlierer der Krise
Armut, soziale Ausgrenzung, Perspektivlosigkeit - Wie lange kann das noch gut gehen?
Europa droht eine verlorene Generation, so das alarmierende Ergebnis einer Bertelsmann-Studie. 26 Millionen Kinder und Jugendliche sind demnach von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht – mitten in Europa. Noch dazu verschärft sich die Kluft zwischen Jung und Alt. Ein Armutszeugnis für die EU.
Nord gegen Süd, Ost gegen West, Reich gegen Arm – Die europäische Gesellschaft ist voller Gegensätze. Doch die wahre Kluft verläuft woanders, nämlich zwischen Jung und Alt. „Kinder und Jugendliche sind die größten Verlierer der europäischen Wirtschafts- und Schuldenkrise“, so das erschütternde Fazit des Social Justice Index, einer Studie der Bertelsmann Stiftung. Demnach sind 27,9 Prozent aller unter 18-Jährigen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. 26 Millionen Jugendliche und Kinder, denen jegliche Zukunftsperspektive fehlt … und das mitten in der Europäischen Union.
Besonders dramatisch ist die Lage in den europäischen Krisenstaaten. Hier hat die Schuldenkrise tiefe Spuren hinterlassen. In Spanien, Griechenland, Italien und Portugal ist die Zahl der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Kinder und Jugendlichen seit der Krise um 1,2 Millionen gestiegen. Waren es 2007 noch 6,4 Millionen, sind heute 7,6 Millionen junger Menschen von Armut betroffen. Sie leben entweder in Haushalten mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens, leiden unter schweren materiellen Entbehrungen oder wachsen in quasi-erwerbslosen Haushalten auf, so die Studie.
„Wir können uns keine verlorene Generation in Europa leisten“
Hinzu kommen weitere 5,4 Millionen junge Erwachsene zwischen 20 und 24 Jahren, die in prekären Situationen leben. Ganze 17,8 Prozent haben weder einen Job, noch befinden sie sich in der Ausbildung. Trauriger Spritzenreiter sind auch hier die südeuropäischen Länder: In Spanien kletterte der Anteil der 20- bis 24-Jährigen, die weder Arbeit noch Ausbildung haben, von 16,6 auf 24,8 Prozent, in Italien sogar von 21,6 auf 32 Prozent.
„Wir können uns eine verlorene Generation in Europa weder sozial noch ökonomisch leisten“, warnt Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung. Er fordert: Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssten besondere Anstrengungen unternehmen, um die Chancen junger Menschen nachhaltig zu verbessern.
Kluft zwischen Jung und Alt nimmt zu
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Doch nicht nur die Perspektivlosigkeit der jungen Menschen bereitet den Machern der Studie Sorgen. Sie beobachten auch eine wachsende Kluft zwischen Jung und Alt, die enormes soziales Konfliktpotenzial birgt. Während der Anteil der Jugendlichen in Armut auf 27,9 Prozent gestiegen ist, hat sich die Situation für ältere Menschen deutlich gebessert. Rund 17,8 Prozent der über 65-Jährigen sind aktuell von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. 2007 waren es noch 24,4 Prozent. Grund für die steigende Kluft zwischen Jung und Alt: „Im Laufe der Krise sind die Renten und Altersbezüge der älteren Menschen nicht beziehungsweise nicht so stark geschrumpft wie die Einkommen der jüngeren Bevölkerung.“ Zusätzlich verschärft wird die Situation durch die steigende Verschuldung der öffentlichen Haushalte, welche vor allem die jüngere Generation belastet, stagnierende Zukunftsinvestitionen in Bildung oder Forschung sowie unsere alternde Gesellschaft, die den Druck auf die Finanzierbarkeit sozialer Sicherungssysteme erhöht.
Generationenkonflikt verschärft sich auch in Deutschland
Die Studie zur sozialen Gerechtigkeit in der EU beleuchtet zum zweiten Mal nach 2014 die Entwicklung in allen 28 EU-Staaten anhand von 35 Kriterien. Deutschland belegt wie bereits bei der ersten Studie trotz großer volkswirtschaftlicher Kraft nur den siebten Platz, konnte seinen Index-Wert seit 2008 - damals war die Erhebung noch nicht so umfassend wie heute - aber von 6,16 auf 6,52 verbessern. Der EU-Schnitt liegt bei 5,63, Spitzenreiter bleibt Schweden (7,23).
Für Deutschland spricht die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt mit der niedrigsten Jugendarbeitslosigkeit (7,7 Prozent) im EU-Vergleich und der zweithöchsten Beschäftigungsquote von 73,8 Prozent hinter Schweden. Die Forscher bemängeln allerdings mit 40 Prozent einen zu großen Anteil von atypischen Beschäftigten in Deutschland. Diese Menschen sind trotz Vollzeitjob von Armut bedroht - wegen befristeter Verträge und Niedriglöhne.
Bei der Generationengerechtigkeit hat sich die Bundesrepublik im Vergleich zu 2014 von Rang 10 auf 15 verschlechtert. So müssen bei den unter 18-Jährigen etwa fünf Prozent mit schweren materiellen Entbehrungen leben. Bei den über 65–Jährigen sind es nur 3,2 Prozent. Auch beim Bildungszugang beklagt die Bertelsmann-Stiftung in Deutschland einen zu starken Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg.