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     4404  0 Kommentare Schizophrenie von Markt und Menschen

    Die Börsenwelt ist wirklich eine Welt voller Wunder. Beinahe an jedem Tag ein neues Highlight. In der vergangenen Woche war es erneut der Ifo-Index: Zum fünften Mal in Folge fällt die sich aus Managerumfragen ergebende Erwartungskomponente über die Zukunftsentwicklung besser aus als in der Vorperiode. Die aktuelle Lage hingegen wird weiterhin mit großer Skepsis betrachtet. Und die Differenz zwischen der Einschätzung der (rosigen) Zukunft und der (dornigen) Gegenwart liegt beinahe auf dem höchsten Wert seit Beginn der großen Hausse im Jahr 1982. Wer hier nicht die Worte "Pathologie" oder "Schizophrenie" in den Mund nimmt, wird das sicherlich niemals tun.

    Und am Wochenende hat dann auch noch Bolko Hoffmann, der Herausgeber des "Effectenspiegel", wieder einmal richtig auf den Putz gehauen. Freilich nur, um seine kleines, lächerliches Magazin besser zu verkaufen. "Der Euro macht Europa kaputt" titelt er in einer ganzseitigen Anzeige in großen Tageszeitungen und schreibt wenig später den wunderbaren Satz: "Nur drittklassige Pseudoexperten, also der sog. wissenschaftliche Schrott, plädierten und plädieren für den Euro."

    "Pseudo" bedeutet "falsch". Pseudoexperten sind also falsche Experten. Doch was sind "drittklassige falsche Experten"? Da es falscher als falsch nicht gibt, bedeutet das also, dass erstklassige Pseudo-Experten falsch liegen in ihrem Urteil. Zweit-, dritt- und viertklassige Pseudoexperten können daher, da es falscher als falsch nicht geht, letztlich nur besser liegen als erstklassige Pseudoexperten, weil anderenfalls die Unterscheidung und Einteilung in die Kategorie "drittklassig" keinen Sinn mehr machen würde.

    Was will uns Bolko Hoffmann also wirklich sagen? Dass der Euro gegenüber dem US-Dollar in den letzten Monaten um über 30 Prozent angestiegen ist? Oder spielt er vielleicht auf den alten Kindervers an: "Wer es sagt, der ist es selber"? Dass derjenige, der andere als "wissenschaftlichen Schrott" bezeichnet, selbst nicht ganz ernst zu nehmen ist. Zudem dann, wenn die Empirie der eigenen Einschätzung völlig zuwider läuft. Ein erstaunlicher Mann, dieser Bolko Hoffmann, finde ich. Und ein erstaunliches Selbsteingeständnis für so viel Geld, finde ich. Wer gibt schon ganzseitige Anzeigen heraus, um sich selbst öffentlich als Idiot zu brandmarken? Vor allem dann, wenn man selbst Vorstand und Hauptaktionär einer börsennotierten Aktiengesellschaft ist. Die Börsenwelt ist wirklich eine Welt voller Wunder.

    berndniquet@t-online.de

    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Schizophrenie von Markt und Menschen Die Börsenwelt ist wirklich eine Welt voller Wunder. Beinahe an jedem Tag ein neues Highlight. In der vergangenen Woche war es erneut der Ifo-Index: Zum fünften Mal in Folge fällt die sich aus Managerumfragen ergebende Erwartungskomponente über …