Soziale Marktwirtschaft am Ende
DIW-Chef Fratzscher kritisiert rückständiges Denken deutscher Ökonomen
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), wirft deutschen Volkswirten rückständiges Denken vor: „Wir deutschen Wissenschaftler sind hier immer noch sehr stark in dem alten ordnungspolitischen Denken verhaftet. Da können wir von der internationalen Debatte etwas lernen. Vielleicht sollten wir ein bisschen offener sein“, sagt Fratzscher im Gespräch mit der Wochenzeitung „Die Zeit“.
Streit um Deutungshoheit
Damit eskaliert der Streit um die Deutung der gesellschaftlichen Lage im Land. Fratzscher hat ein Buch veröffentlicht, das zu der Diagnose kommt, dass Deutschland immer ungleicher werde.
Ökonomen wie Lars Feld und Christoph Schmidt vom Sachverständigenrat der Wirtschaftsweisen halten diese Diagnose für falsch und bezeichneten die Warnung vor einem Anstieg der Ungleichheit als
„Skandalisierung des Unspektakulären“.
Geraubte Lebenschancen als Wachstumsbremse
Fratzscher entgegnet in der "Zeit", er halte es „nicht für unspektakulär, Menschen ihrer Lebenschancen zu berauben“. Er sehe im Kampf gegen die mangelnde Chancengleichheit „eine der dringendsten
und wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit“. Andere Ökonomen würden das Problem unterschätzen, weil sie davon ausgingen, dass Ungleichheit in einer Marktwirtschaft normal sei. Dabei sei diese
Ungleichheit in Deutschland eine Wachstumsbremse.
Das Ende der sozialen Marktwirtschaft
Laut Fratzscher habe sich Deutschland in den vergangenen Jahren zu „einem der ungleichsten Länder der industrialisierten Welt“ entwickelt zitierte ihn das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Dadurch seien allein im Zeitraum zwischen 1990 und 2010 Wachstumseinbußen im Wert von 160 Milliarden Euro zu verzeichnen gewesen, rechnet der DIW-Chef unter Bezug auf eine Studie der Industrieländer-Organisation OECD vor. Im Endergebnis sei eines festzuahlten: „Die soziale Marktwirtschaft existiert nicht mehr.“ (mehr dazu hier)
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Auch eine Studie der staatlichen Förderbank KfW kam zu dem Ergebnis, dass die Einkommen von gut und schlecht verdienenden Haushalten in Deutschland immer weiter auseinander gehen. Während die am besten verdienenden Haushalte ihr verfügbares Einkommen in den Jahren 2000 bis 2014 im Schnitt fast um 40 Prozent steigern konnten, stieg es bei den am wenigsten verdienenden Haushalten gerade einmal um 6 Prozent, berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) unter Berufung auf die KfW-Studie (mehr dazu hier).