DIW-Chef attackiert Schäuble
„Europas Problem ist nicht das Handeln der EZB, sondern das Nicht-Handeln der Politik“
DIW-Chef Marcel Fratzscher hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und andere deutsche Politiker vor weiteren Angriffen auf die Europäische Zentralbank (EZB) gewarnt. "Die zu einseitige und häufig emotionale Kritik an der EZB ist falsch und schadet der Glaubwürdigkeit der EZB", sagte Fratzscher der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post". Und ergänzt: "Deutschland schadet sich selber mit der Kritik an der EZB, denn ein Verlust der Glaubwürdigkeit bedeutet, dass die EZB ihre Aufgabe schlechter erfüllen kann", sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
"Anstelle die EZB zu attackieren, sollte sich die Politik den Spiegel vorhalten", sagte er. "Europas größtes Problem ist nicht das Handeln der EZB, sondern das Nicht-Handeln der Politik - gerade auch in Deutschland", betonte der Ökonom. "Wir müssen in Deutschland dringend zu einem sachlichen und ausgewogenen Dialog zur EZB-Geldpolitik zurückkehren", mahnte er. Schäuble hatte die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) scharf kritisiert, weil sie euroskeptische Befürchtungen nähre.
Gesellschaftliche Verantwortung: Reiche sollen mehr spenden
Zugleich fordert der DIW-Chef, dass Reiche von ihrem Vermögen mehr spenden sollen als bisher. "Wir sollten einen stärkeren Dialog darüber führen, was gesellschaftliche Verantwortung heißt", sagte er zuvor dem "Tagesspiegel am Sonntag". Zwar gebe es hierzulande eine starke Kultur des Ehrenamts. "Aber dass man die Gesellschaft auch finanziell unterstützt, ist noch relativ neu. Das muss erst noch in unseren Köpfen ankommen", kritisierte der Ökonom.
Fratzschers Meinung nach kann Deutschland hier von den USA lernen. "In den USA wird erwartet, dass Erfolgreiche der Gesellschaft etwas zurückgeben", sagte er. "In Deutschland sehen wir es dagegen als Aufgabe des Staates an, sich um die sozial Schwachen zu kümmern. Da könnten wir von den Amerikanern lernen." Die Flüchtlingskrise könnte das Problem noch verstärken, fürchtet Fratzscher. "Viele Flüchtlinge haben geringe Qualifikationen und werden eher geringfügig entlohnte Jobs annehmen", sagte er. "Dadurch steigt der Druck auf die sozial schwachen Schichten in Deutschland noch einmal an."
Deutsche Volkswirte zu sehr ordnungspolitischem Denken verhaftet
Vor Kurzem nahm sich Fratzscher auch die deutschen Volkswirte vor, denen er rückständiges Denken attestierte: „Wir deutschen Wissenschaftler sind hier immer noch sehr stark in dem alten ordnungspolitischen Denken verhaftet. Da können wir von der internationalen Debatte etwas lernen. Vielleicht sollten wir ein bisschen offener sein“, sagt Fratzscher im Gespräch mit der Wochenzeitung „Die Zeit“.
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Er halte es „nicht für unspektakulär, Menschen ihrer Lebenschancen zu berauben“. Er sehe im Kampf gegen die mangelnde Chancengleichheit „eine der dringendsten und wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit“. Andere Ökonomen würden das Problem unterschätzen, weil sie davon ausgingen, dass Ungleichheit in einer Marktwirtschaft normal sei. Dabei sei diese Ungleichheit in Deutschland eine Wachstumsbremse. (Lesen Sie mehr hier.)