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    Marktkommentar  1046  0 Kommentare Guido Barthels, Yves Longchamp (Ethenea): To be or not to be (1)?

    Im Juni geht es in Europa um Einiges - nicht nur um die Fußball-Europameisterschaft. Die internationalen Kapitalmarktakteure werden genau hinschauen, wenn die nächste Runde im Spiel um die Zukunft Europas ausgetragen wird.

    Der alte William Shakespeare mit seinem Hang zum Tragischen hätte seine wahre Freude am heutigen Europa gehabt. Die Brexit-Abstimmung am 23. Juni 2016 scheint laut aktuellen Umfragen wohl nicht mit dem zweifelhaften Erfolg gekrönt zu werden (2) , dass England seinen geografischen Inselstatus auch zum politischen Status erhebt. Allerdings haben Jacques Delors und Helmut Kohl als Altväter der Europäischen Union sicher stark mit den Tränen zu kämpfen. Was ist nur aus der europäischen Idee der Solidarität und Subsidiarität geworden?

    Innerhalb der Eurozone brodelt es sogar noch mehr. Rund 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges erleben rechtsnationale Parteien nun ihre Renaissance. Die (noch) herrschenden Volksparteien sind mittlerweile ein Schatten ihrer selbst geworden und kämpfen nur mehr Rückzugsgefechte. Die vermeintlichen Griechenland-Hilfen, die mittlerweile die irrsinnige Höhe von fast 250 Milliarden EUR erreicht haben, bewirken alles, außer den Griechen zu helfen. Optimistische Berechnungen behaupten, dass lediglich knapp zehn Milliarden EUR in Griechenland selbst geblieben sind, also 4%. Der große Rest der sogenannten Hilfen wurde nach der buchhalterischen Sekunde direkt auf die Konten der EZB und anderer ausländischer Gläubiger gebucht, um den unabwendbaren Staatsbankrott so lange wie möglich hinauszuzögern. In der Wirtschaft nennt man dieses Verhalten Konkursverschleppung. Meines Erachtens ist das eine Straftat. Doch wie sagt man: Wo kein Kläger, da kein Richter. Und in Deutschland, dem einflussreichsten Land der Eurozone, stehen in 17 Monaten Bundestagswahlen an. Die regierenden Parteien würden sicherlich einen noch dramatischeren Stimmenverlust als bisher in Richtung AfD erleiden müssen, wenn die Verantwortlichen die Wahrheit über die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands und damit das Versagen der Rettungspolitik eingestehen würden. Ein möglicher Schuldenschnitt würde auch mögliche Begehrlichkeiten anderer, größerer Eurostaaten wecken (3). Nicht auszudenken, wenn Länder von der Größenordnung Italiens anfingen, in diese Richtung zu denken.

    Diese unglückliche Situation an der politischen Front weckt sicherlich nicht die Investitionsneigung international agierender Investoren. Das Gegenteil scheint eher der Fall zu sein: Man macht einen großen Bogen um Europas Renten und Aktien, wenn man denn kann. Eher spekulativ agierende Kräfte erzwingen die eine oder andere Rallye an den (noch) nicht manipulierten Aktienmärkten. Die europäischen Rentenmärkte sind ja durch die verschiedenen Ankaufprogramme der EZB auf Renditeniveaus gesunken, die in keinem gesunden Zusammenhang zu den Risiken stehen. Konsequenterweise meiden wir weitestgehend die europäischen Renten als Investition. Auch im Aktienteil unserer Fonds nehmen europäische Werte eine untergeordnete Rolle ein.

    Der USD-Raum als Alternative für unsere Anlagen gestaltet sich auch in zunehmendem Maße schwieriger. Die Ankündigungen der FOMC-Mitglieder, die Zinsen (bald) erhöhen zu wollen, rufen beim Markt und seinen Anlegern Magenschmerzen hervor. Sollen die Zinserhöhungen etwa einem möglichen Handlungsverzug der US-Notenbank bei der Inflationsbekämpfung entgegenwirken? Falls ja, bedeutet dies, dass die Fed behind the curve ist und somit die Inflation stärker steigen könnte als erwartet, mit den entsprechenden negativen Folgen für Anlagen im langen Bereich der US-Zinskurve. Falls die Zinserhöhungen jedoch lediglich eine Rückkehr Richtung Normalisierung der Geldpolitik darstellen, würden Anlagen am langen Ende der Zinskurve durchaus positiv reagieren, da die US-Fed alles unter Kontrolle hätte und US-Zinsinvestitionen im internationalen Vergleich sehr attraktiv erscheinen würden.

    Für Währungen und Aktienmärkte gibt es analoge Argumentationsketten, mit denen der Autor seine Leser nicht langweilen möchte.

    Der geneigte Leser merkt auf und hält sich hoffentlich noch einmal den Titel The Tempest (4) unseres diesjährigen ersten Marktkommentars vor Augen, in welchem wir auf die erheblichen Risiken in diesem Anlagejahr hingewiesen haben.

    In diesem Umfeld sollten strategische Anlagen sehr engmaschig beobachtet werden und insgesamt sollte das Risikobudget nicht ausgeschöpft werden. Jegliche Daten führen zu einer Neuinterpretation der Situation und damit auch oft zu einer Neubewertung mit volatilen Preisanpassungen, die gemäß Murphy's Law (5) mit meist negativen Ergebnisbeiträgen zur bottom line führen.

    Im Hinblick auf die anstehende Fußball-Europameisterschaft lässt sich damit eigentlich nur Eines feststellen: Ball flach halten.

    Guido Barthels, Yves Longchamp, CFA

    1 Zu Deutsch: "Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage" - Zitat aus William Shakespeares Tragödie Hamlet. Zu Beginn des Stückes leitet der Protagonist Hamlet mit diesem Satz einen Monolog ein, in dem er darüber nachdenkt, dass er davor zurückscheut entschlossen zu handeln, da er trotz Todessehnsucht und Weltschmerz Angst vor dem Tod hat, Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Sein_oder_Nichtsein,_das_ist_hier_die_Frage

    2 An dieser Stelle müssen wir anmerken, dass wir ausnahmsweise darauf hoffen, dass England nicht in der Vorrunde der Fußball-EM ausscheidet (das letzte Gruppenspiel für England findet drei Tage vor der Wahl statt) - nicht, dass dies noch einen kurzfristigen antieuropäischen Schub auslöst.

    3 Seltsamerweise wurde beim jüngsten Griechenland-Gipfel als Datum, an dem über die Reduzierung der griechischen Schuldenlast verhandelt werden soll, das Jahr 2018 bestimmt. Das wäre dann nach der Bundestagswahl in Deutschland. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

    4 Klicken Sie hier, um erneut einen Blick auf den Marktkommentar von Januar 2016 mit dem Titel The Tempest zu werfen.

    5 Lebensweisheit, nach der "alles, was schiefgehen kann, auch schiefgehen wird.", Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Murphys_Gesetz




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    Marktkommentar Guido Barthels, Yves Longchamp (Ethenea): To be or not to be (1)? Im Juni geht es in Europa um Einiges - nicht nur um die Fußball-Europameisterschaft. Die internationalen Kapitalmarktakteure werden genau hinschauen, wenn die nächste Runde im Spiel um die Zukunft Europas ausgetragen wird.