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    Marktkommentar  826  0 Kommentare Metzler: Deutschland kann Europa nach Brexit stabilisieren - Konjunkturprogramm sollte vorbereitet werden

    Die Entscheidung der britischen Bevölkerung, die EU zu verlassen, ist ein ernsthaftes Risiko für den Aufschwung in der Eurozone: Die anhaltenden politischen Unsicherheiten dürften auf den Investitionsentscheidungen der Unternehmen lasten, die Finanzmarktturbulenzen dürften die Banken vorsichtiger bei der Kreditvergabe machen und die Exporte nach Großbritannien dürften deutlich fallen. Die EZB wird zwar die Geldpolitik nochmals lockern, hat aber ihre geldpolitische Munition schon weitestgehend verschossen. Deutschland als Land mit sehr solidem Staatshaushalt sollte daher ein großes Konjunkturprogramm zur Finanzierung von Infrastruktur und Bildung auf den Weg bringen, um im Fall einer deutlichen Verschlechterung der Konjunkturdaten schnell Gegenmaßnahmen ergreifen zu können und um somit größeren Schaden von der europäischen Wirtschaft abzuwenden. Die Entscheidung sollte nicht sehr schwer fallen, da auch in einer Rezession das Haushaltsdefizit deutlich steigen würde - dann jedoch zusammen mit einer deutlich höheren Arbeitslosigkeit.

    Ehrlicherweise ist es zum jetzigen Zeitpunkt sehr schwer, die realwirtschaftlichen Folgen des Brexit für die Eurozone und Großbritannien abzuschätzen. Es wird sicherlich einige Wochen dauern, bis darüber Klarheit herrscht. Klar ist nur, dass die Konjunkturrisiken sehr hoch sind, da der Aufschwung immer noch fragil ist und das Bankensystem angeschlagen. In einem ersten Schritt haben wir daher die Wachstumsprognose für die Eurozone für dieses und nächstes Jahr von jeweils etwa 1,5 % auf nur noch 1,0 % reduziert. Weitere Revisionen sind durchaus möglich - vielleicht sogar auch wieder nach oben, wenn die wirtschaftlichen Konsequenzen weniger schlimm als befürchtet ausfallen.

    Großbritannien und die EU haben jetzt zwei Jahre Zeit, über den Austritt zu verhandeln. Es ist unwahrscheinlich, dass Großbritannien eine vergleichbare Lösung wie Norwegen und die Schweiz akzeptieren wird. Norwegen und die Schweiz müssen einen finanziellen Beitrag in den EU-Haushalt leisten und die meisten EU-Vorschriften übernehmen. Die neue britische Regierung dürfte dies wohl kaum akzeptieren und wahrscheinlich ohne Handelsabkommen aus der EU austreten. Die EU würde dann Handel mit Großbritannien auf Basis der Regeln der Welthandelsorganisation treiben. Darüber hinaus erscheint eine Abspaltung Schottlands und Nordirlands von Großbritannien perspektivisch wahrscheinlich, da es in den Bevölkerungen beider Länder eine breite Mehrheit für die EU gibt.

    Die schwache Flanke Großbritanniens ist das britische Pfund. Großbritannien hat ein Leistungsbilanzdefizit von mehr als 5 % des BIP und ein Haushaltsdefizit von mehr als 4 % des BIP. Vor diesem Hintergrund erscheint eine anhaltende Pfund-Schwäche wahrscheinlich, zumal schon die erste Rating-Agentur eine Herabstufung Großbritanniens angekündigt hat. Eine anhaltende Pfund-Schwäche könnte es jedoch der Bank von England und der britischen Regierung erschweren, Gegenmaßnahmen gegen eine merkliche Wachstumsabschwächung zu ergreifen. Die Konjunkturrisiken für Großbritannien sind somit deutlich größer als für das restliche Europa.

    Auch dürfte die politische Unsicherheit über den Zusammenhalt Europas in den kommenden Monaten steigen und die europaskeptischen Parteien in vielen Mitgliedsländern der EU dürften auf dem Vormarsch sein. Insbesondere in Frankreich und in Holland könnte der Ruf nach einem eigenen EU-Referendum zunehmen. Europa und die EU stehen vor diesem Hintergrund vor einer großen Belastungsprobe. Die Wahlen in Spanien am Sonntag könnten vor diesem Hintergrund zu einem weiteren Unsicherheitsfaktor werden, im Hinblick auf den Konflikt um die Abspaltung Kataloniens.

    Konjunkturdaten treten in den Hintergrund

    Die Konjunkturdaten, die in der kommenden Woche veröffentlicht werden, haben nach der Brexit-Entscheidung nur noch eine geringe Aussagekraft. So werden am Freitag die Einkaufsmanagerindizes für die Industrie weltweit veröffentlicht. Aus den USA gibt es noch das Konsumentenvertrauen (Dienstag) und die Konsumausgaben (Mittwoch). Aus der Eurozone kommen die Geldmengen- und Kreditdaten (Montag), der Geschäftsklimaindex der EU-Kommission (Mittwoch) sowie die Inflationsschätzung für Juni (Donnerstag). Aus Japan werden die Industrieproduktion (Donnerstag), die Inflation (Freitag) und die Tankan-Umfrage (Freitag) veröffentlicht.

    Eine gute und erfolgreiche Woche wünscht

    Edgar Walk

    Chefvolkswirt Metzler Asset Management



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