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    Neuer Anstoß von AOK-Chef Wältermann  10004  7 Kommentare Streit um die Zuckersteuer: Worum es am Ende wirklich geht

    Mit seiner Zuckersteuer-Forderung hat Krankenkassenchef Günter Wältermann eine alte Diskussion neu entflammt. Es herrscht große Uneinigkeit ob der Wirkung erhöhter Preise auf das menschliche Konsumverhalten. Dabei gibt es schon längst eine Konsenslösung. Nur will keiner dafür blechen müssen. 

    „Es rollt ein Diabetes-Tsunami auf uns zu“, warnte der CDU-Gesundheitspolitiker Dietrich Monstadt im November. Was zunächst etwas überdramatisiert anmutete, entpuppt sich bei näherer Betrachtung der Faktenlage als ziemlich real: Demnach sind aktuell rund sechs Millionen Menschen in Deutschland von der Zuckerkrankheit betroffen – das sind fast 40 Prozent mehr, als noch im Jahr 1998. Jeden Tag kommen an die 1.000 neuen Fälle hinzu, jede Stunde endet die Krankheit für einen der Betroffenen tödlich. Schätzungen zufolge wird bis zum Jahr 2030 jeder vierte Bundesbürger an Diabetes Typ II erkrankt sein.

    Auch wenn man selbst (noch) nicht zu der wachsenden Gruppe gehört, trägt letztlich doch jeder Einzelne die Kosten für diese Volkskrankheit. Und die haben es in sich: Laut Deutscher-Diabetes-Hilfe waren es im Jahr 2009 rund 48 Milliarden Euro, die durch die Krankheit und ihre Begleiterscheinungen verursacht wurden.

    Was tun?

    Logisch, dass Krankenkassen aber auch Hilfsorganisationen darauf pochen, eine Lösung für dieses Problem zu finden. Der vielfach diskutierte Ansatz bezieht sich dabei auf die Besteuerung des Hauptschuldigen unserer Heißhungerattacken: Des Zuckers. Dass der uns ziemlich gaga im Kopf macht, sollte eigentlich jeder wissen. Aber gerade deshalb schaffen es die meisten nicht, weniger zu konsumieren, im Gegenteil. Man will mehr davon. Die perfekte Droge.

    Als eine solche sollte sie nach Auffassung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), des Verbrauchervereins Foodwatch, diverser anderer Hilfsorganisationen sowie Einzelpersonen aus der Politik nun mal mit einer Steuer belegt werden. Für den Chef der AOK-Rheinland/Hamburg, Günter Wältermann wäre dies nur ein Teil einer „gesamtgesellschaftlichen Strategie“, zu der natürlich auch ausreichend Bewegung, gesunde Ernährung und Transparenz bei der Lebensmittelindustrie zählen (Quelle: „Rheinische Post“).     

    Beim verantwortlichen Bundesminister Christian Schmidt (CSU) stößt er damit jedoch auf taube Ohren. Abgesehen davon, dass Schmidt sich sowieso gerade viel lieber mit der Frage beschäftigt, ob eine Soja-Wurst denn nun „Wurst“ genannt werden darf oder nicht, setzt dieser noch auf freiwillige Selbstverpflichtungen in der Branche. Zudem will das Ministerium das Problem insofern an der Wurzel packen, als dass die Ernährungskompetenz schon in der frühen Kindheit gefördert werden soll – zum Beispiel durch spezielle Schulfächer. Zu guter Letzt soll weiter in Richtung Lebensmittelgesundheit geforscht werden, um beispielsweise herauszufinden, wie sich die gefährlichen Zutaten Zucker, Salz und Fett in Fertigprodukten reduzieren lassen.

    Ein absolut löblicher und vernünftiger Plan. Dafür muss jedoch Geld in die Hand genommen werden - für das besagte Forschungsprojekt sind derzeit zwei Millionen Euro angesetzt. Kosten, die sich über die umstrittene Steuer eigentlich ganz locker reinholen ließen.

    Kann das funktionieren?

    Genau das ist das Ziel der britischen Regierung. Im August hatte man sich auf der Insel - sehr zur Freude von Starkoch Jamie Oliver - dazu entschlossen, gemäß der WHO-Empfehlung eine Abgabe auf zuckerhaltige Limonaden einzuführen. Die erhofften Einnahmen sollen in die Förderung des landesweiten Grundschulsports fließen. In Spanien ist seit kurzem ebenso eine entsprechende Steuer geplant, in Mexiko gibt es sie bereits seit 2014.

    Auch wenn Gegner dieses Instruments vielfach behaupten, dass sich die Sucht eines Menschen nicht durch höhere Preise eindämmen ließe („Wer raucht, hört nicht plötzlich auf, nur weil die Zigarette teurer ist“), sprechen die Ergebnisse aus Mexiko eine andere Sprache. Tatsächlich ist der Konsum von Cola, Sprite und Co. seit der Einführung der Zuckersteuer dort um sechs Prozent zurückgegangen. Der Preismechanismus scheint also zu funktionieren.

    Wer bezahlt?

    Nicht ohne Grund tönt es daher Zeter und Mordio aus der Lebensmittelindustrie. Nahezu reflexhaft wird bei der kleinsten Erwähnung der Abgabe die Jokerkarte namens „Arbeitsplatzverluste“ gezückt. So hieß es in Großbritannien vom Lobbyverband Soft Drink Association, dass die Zusatzabgabe um die 4.000 Jobs kosten werde (Quelle: „Tagesschau“). Das sei „sicherlich nicht das richtige, gerade nach dem Brexit-Votum“.

    In Deutschland bezeichnete die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) die Zuckersteuer ihrerseits als „Irrweg“, für den Branchenverband Wirtschaftliche Vereinigung Zucker geht sie „komplett in die falsche Richtung“. Man müsse stattdessen auf Aufklärung setzen.

    Eine Lösung, über die sich ja anscheinend alle einig sind. Gestritten wird im Grunde also nur darüber, wer dafür aufzukommen hat. Gemäß des Verursacherprinzips, einem Grundsatz aus der Umweltpolitik, sollte diese Frage doch eigentlich gar nicht so schwer zu beantworten sein. 





    wallstreetONLINE Redaktion
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