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     4198  0 Kommentare Was ist 2004 zu erwarten?

    Nun hat es also doch gestimmt: Drei schlechte Börsenjahre in Folge gibt es so selten, dass man schon fast "gar nicht" sagen kann. 2003 war ein turbulentes, aber trotzdem gutes bis sehr gutes Börsenjahr. Doch damit beginnt die Rechnung wieder von Neuem – in 2004 ist alles möglich, denn hier gibt es kaum eine historische Analogie, auf die man sich nur annähernd verlassen kann.

    Ich werde auch für 2004 bei meinem Wahlspruch der letzten Monate bleiben: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst! Das bedeutet: Wir haben es aus meiner Sicht mit einem Antagonismus der ganz besonderen Art zu tun, der sich folgendermaßen äußert: Einerseits sind die Argumente der Baissiers besser als diejenigen der Optimisten, andererseits wird jedoch das, was die Pessimisten erwarten, nicht eintreffen, sondern wir werden uns die nächsten Jahre wunderbar im neutralen bis positiven Terrain hindurch wursteln.

    Der Zukunftsforscher Matthias Horx spricht in diesem Zusammenhang von der "Goldenen Rezession", ich hingegen stütze mich eher auf die alt-österreichische Weltsicht, dass die Lage zwar hoffnungslos, aber keinesfalls ernst ist.

    Und hat das nicht einige historische Logik für sich? Natürlich ist die Verschuldung der Haushalte, der Unternehmen und der Nationalstaaten so groß, dass sie niemals auch nur in Ansätzen zurück gezahlt werden wird. Doch warum sollte sie auch zurück gezahlt werden? Die Skala der Verschuldung ist vielmehr nach oben offen wie die Richter-Skala, mit denen man Erdbeben misst. Oder, wie hat der US-Ökonom Edward Yardeni einmal so schön gesagt: "Natürlich haben wir alle seit einigen Jahren und Jahrzehnten über unsere Verhältnisse gelebt. Na und? Dann leben wir doch einfach weiter über unsere Verhältnisse!"

    Meine feste Überzeugung ist es daher, dass die Krise uns jetzt so bald nicht noch einmal erwischen wird. Natürlich sind wir alle irgendwie kollektiv verrückt geworden – man muss ja nur einmal kurz den Fernseher einschalten, um das zu merken. Doch na und? Dann leben wir doch einfach völlig ungeniert unsere Verrücktheiten weiter aus.

    Letztlich läuft das wie bei einer Truppe besoffener, aber gut betuchter Jugendlicher: Irgendwann wird Pappi auch die am schlimmsten Gestrandeten herauspauken! Unterschätzen wir ja nicht die Höhe des Vermögens, die sich in den letzten Jahrzehnten in den westlichen Industrieländern angesammelt hat, sowie die Macht der Regierungen und Zentralbank, den Über-Pappi für alle zu spielen.

    Sie, liebe Leser, werden daher auch im nächsten Jahr an dieser Stelle von mir keine ausgefeilte und festgefahrene Meinung hören, sondern mit viel Widersprüchlichem konfrontiert werden. Denn jedes Bild setzt sich nicht aus einem großen Baustein, sondern aus Tausenden verschiedener kleiner Pixel zusammen. Ob das allerdings auf Dauer in der jetzigen Form passieren kann, wird sich im Laufe der nächsten Monate entscheiden. Denn Unabhängigkeit hat genauso wie Abhängigkeit stets einen Preis. Ist letzterer ausschließlich in psychologischen Kategorien quantifizierbar, so sollte – und muss – ersterer doch eigentlich anders vergütet werden.

    berndniquet@t-online.de

    Bernd Niquet
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    DER NEUNTE BAND VON "JENSEITS DES GELDES" IST ERSCHIENEN: Bernd Niquet, Jenseits des Geldes, 9. Teil, Leipzig 2023, 648 Seiten, 23,50 Euro

    Leseprobe: "Jenseits des Geldes".

    Eigentlich war ich vollkommen sicher, dass jetzt die Zeit dieser ganzen Auseinandersetzungen hinter mir lag. Deswegen hatte ich auch extra meine Mietrechtschutzversicherung gekündigt. Dann habe ich aber doch einmal in die Betriebskostenabrechnung hineingeschaut und musste unwillkürlich rechnen. 29.220 Euro im Jahr 2018 für die Reinigung der Treppen und Flure, das sind 93 Euro pro Haus pro Woche. Ich würde das jeweils in zehn Minuten schaffen, doch selbst wenn die ungelernte Hilfskraft zwanzig Minuten braucht, sind das 279 Euro Stundenlohn, den die Leiharbeitsfirma dafür einfährt. Wer dabei nicht an Sizilien denkt, kann eigentlich nicht mehr voll bei Verstand sein.

    Bernd Niquet ist Jahrgang 1956 und wohnt immer noch am letzten grünen Zipfel der Failed Stadt Berlin. Die ersten acht Teile von „Jenseits des Geldes“ sind ebenfalls im Engelsdorfer Verlag erschienen, und zwar in den Jahren 2011, 2012, 2013 sowie 2018, 2019, 2020, 2021 und 2022.

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    Verfasst von Bernd Niquet
    Was ist 2004 zu erwarten? Nun hat es also doch gestimmt: Drei schlechte Börsenjahre in Folge gibt es so selten, dass man schon fast "gar nicht" sagen kann. 2003 war ein turbulentes, aber trotzdem gutes bis sehr gutes Börsenjahr. Doch damit beginnt die Rechnung wieder von …