Carsten Brzeski
Der Chefvolkswirt der ING findet die Diskussion um höhere Leitzinsen verfrüht
Vor allem die Deutschen sind zunehmend sauer auf Mario Draghi. Denn mit den ansteigenden Inflationswerten und gleichbleibenden Niedrigzinsen wird nun eine endgültige Enteignung der Sparer befürchtet. ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski glaubt trotzdem nicht, dass es kurzfristig zur geldpolitischen Wende kommt. Und versucht auch zu erklären, warum.
Am kommenden Donnerstag finden sich die EZB-Direktoren zum zweiten Mal in diesem Jahr zusammen, um über den weiteren geldpolitischen Verlauf in der Eurozone zu diskutieren. Speziell von deutscher Seite aus wird immer mehr Druck auf die Ratsmitglieder dahingehend ausgeübt, endlich auf die Bremse zu treten und ein Ende der Null- und Negativzinsen einzuleiten.
Mit den gestiegenen Verbraucherpreisen sei die Geldschwemme nicht mehr notwendig, so das Argument. Stattdessen steigt damit die Gefahr massiver Realverluste - was mittlerweile ganze 44 Prozent aller Bundesbürger enorm verärgert (mehr dazu hier).
Mario Draghi wird dennoch weiterhin an seiner Strategie festhalten, glaubt der Chefvolkswirt der ING-DiBa, Carsten Brzeski. Im Gespräch mit dem "Business Insider" erklärte er, dass die vom EZB-Präsidenten festgelegten Kriterien für einen Zinsschritt tatsächlich noch nicht erreicht seien. So sei zwar die allgemeine Inflationsrate im Euroraum gestiegen. Die um die lebensmittel- und energiepreisbereinigte Kerninflationsrate hingegen liegt nach wie vor auf einem historisch niedrigen Niveau.
Entsprechend muss also davon ausgegangen werden, dass die allgemeine Teuerungsrate lediglich vom jüngsten Ölpreisanstieg sowie von den wetterbedingt gestiegenen Lebensmittelpreisen getrieben werde. Ein Indiz für eine wirklich nachhaltige Inflation ist das noch nicht. Die Diskussion um höhere Leitzinsen sei laut Brzeski daher "verfrüht".
Den Fehler einer überhasteten Zinserhöhung habe man in der Vergangenheit zudem schon zwei Mal begangen. „Die EZB hat kurz vor der Finanzkrise 2007/2008 die Zinsen angehoben, das war ein Fehler. Jean-Claude Trichet hat kurz vor Ende seiner Amtszeit als EZB-Präsident 2010/2011 ebenfalls noch zweimal die Zinsen angehoben, weil der Rat davon ausging, die Eurokrise sei beendet. Auch das war im Nachhinein eine Fehleinschätzung“, sagte der Experte.
Seiner Meinung nach werde sich vor den Wahlen in Frankreich und den Niederlanden ohnehin nicht viel tun. Danach jedoch könne die EZB durchaus bekanntgeben, ihr QE-Programm ab 2018 zurückzufahren, sofern die Konjunkturdaten einigermaßen positiv sind. Zu dem Zeitpunkt würde dann sowieso auch das Anleiheprogramm auslaufen.