Buchtipp
Die bundesdeutsche Linke der 70er Jahre
Gunnar Hinck, Wir waren wie Maschinen. Die bundesdeutsche Linke der siebziger Jahre, Rotbuch Verlag, Berlin 2012, 464 Seiten.
Selten habe ich ein Buch zur deutschen Nachkriegsgeschichte gelesen, aus dem ich so viel Neues und Interessantes gelernt habe wie aus diesem. Und das, obwohl meine politische Einstellung eine andere ist als die des Autors, der seine Urteile aus einer linken Sichtweise fällt.
Stärker als die 68er
Es handelt von den verschiedenen Gruppen, die weit links von der SPD standen und deren Bedeutung bis heute massiv unterschätzt wird, obwohl viele Personen in Politik, Medien und Wirtschaft durch
sie stärker geprägt wurden als durch die 68er-Bewegung, die in aller Munde ist.
Die Zahl der Anhänger der linksextremen Gruppen – Maoisten, Moskautreue, Trotzkisten, Spontis usw. – war deutlich höher als die Zahl der aktiven 68er-Studenten, worauf bereits Gerd Koenen in seinem wichtigen Buch „Das rote Jahrzehnt“ hingewiesen hat. Hinck schätzt, dass die Gesamtzahl derjenigen, die zu irgendeinem Zeitpunkt in den 70er Jahren zum Umfeld dieser linksextremen Szene gehörten „vorsichtig geschätzt auf rund 200.000 bis 250.000“ zu beziffern sei (S. 41). Da gab es den KBW (der allein etwa 20.000 Mitglieder und aktive Sympathisanten hatte), die KPD/ML und andere ML-Gruppen, die DKP mit ihren Vorfeldorganisationen, Sponti-Gruppen wie den RK (Revolutionärer Kampf) und diverse trotzkistische Organisationen.
Zahlreiche Spitzenpolitiker der Grünen wurden in maoistischen K-Gruppen sozialisiert – so etwa Winfried Kretschmann, Antje Vollmer, Jürgen Trittin, Krista Saager, Ralf Fücks oder Reinhard Bütikofer. Fast der gesamte Führungszirkel des „Revolutionären Kampfes“ (Daniel Cohn-Bendit, Joschka Fischer, Tom Koenigs u.a.) schloss sich den Grünen an, ebenso wie ehemalige Trotzkisten (Andrea Fischer, Kerstin Müller) (S. 160, 350). Ob im Auswärtigen Amt, in der Wirtschaft, in Medien – der Autor nennt zahlreiche Belege für Personen, die in den 70er Jahren in linksextremen Organisationen sozialisiert wurden und heute Führungspositionen begleiten. Der ehemalige Chefredakteur der „Welt“, Thomas Schmid, war einer der radikalsten Aktivisten im „Revolutionären Kampf“ und der ehemalige Chefredakteur des „Handelsblatt“, Bernd Ziesemer, war Funktionär der maoistischen KPD/AO. Die beiden Letztgenannten gehören zu denen, die ihre politischen Positionen um 180 Grad geändert haben – und dennoch zeigt der Hinck, dass auch bei ihnen Prägungen durch diese Zeit eine Rolle spielen. Ich kann das auch für mich selbst bestätigen; ich war in den 70er Jahren Gründer einer Roten Zelle und Anhänger der KPD/ML.
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