Buchtipp
Die bundesdeutsche Linke der 70er Jahre - Seite 2
Legenden über 68
Warum wurde dieser Szene bislang – im Vergleich zu den 68ern - so wenig Beachtung geschenkt? „Ginge es logisch zu, müsste es demnach breite öffentliche Beschäftigung mit den 70er Jahren und weitaus
weniger Interesse für ’68 geben. Das Gegenteil ist der Fall. Über die Studentenrevolte ist inzwischen wohl (fast) alles gesagt, gedacht und erforscht worden… Den Gruppierungen der 70er Jahre wird
gemessen an deren Bedeutung hingegen nur wenig Beachtung geschenkt.“ (S. 15)
Dafür gibt es viele Gründe. Die 68er werden bis heute verklärt und es ranken sich um sie – wie der Autor überzeugend anhand vieler Beispiele zeigt – unzählige Legenden, die einer genaueren Nachprüfung nicht standhalten. Die 68er haben ihre Geschichte selbst geschrieben und idealisiert. Hinck merkt an, dass es außer den 68ern keine andere Kohorte in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts gegeben habe, der es gelungen sei, „ihre eigene historische Deutung gleich selbst mit zu übernehmen“ (S. 121). Das Geheimnis der fortwährenden Faszination für das Jahr 1968 sei gerade seine Ambivalenz. „Jeder kann darin finden, was er finden möchte.“ (S. 16) „68“ ist im Mainstream der Bundesrepublik „offensichtlich sexy“ (S. 17), man erinnert sich lieber daran als an die prägenden 70er Jahre. „Vor die Wahl gestellt, ist es natürlich attraktiver, sich seiner Zeit als 68er-Rebell in Westberlin oder Adorno-Schüler in Frankfurt am Main zu erinnern (oder sich zu stilisieren), als über die anschließende Funktionärsarbeit in kargen Hinterzimmern, die Verantwortung für schmallippig verfasste Kampfschriften gegen den Klassenfeind oder das Liebäugeln mit der Gewalt Auskunft zu geben.“ (S. 15)
In der Tat eignen sich all die maoistischen und sonstigen revolutionären Gruppen nicht für eine Legendenbildung. Man kann das, wofür sie standen, nicht so einfach umdeuten wie die 68er-Bewegung, die heute als legitimer Protest gegen eine angeblich verdrängte NS-Geschichte, gegen den Vietnamkrieg und gegen „verkrustete Strukturen“ der Universitäten und der bundesrepublikanischen Gesellschaft insgesamt idealisiert wird. Ein Verdienst des Autors ist es, dass er viele diese 68er-Legenden anhand von zahlreichen Fakten zerpflückt.
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