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     1411  0 Kommentare Geldpolitik: Was ist schon „normal“?

    Nach ihrer jüngsten Pressekonferenz ist die EZB für ihren unveränderten Kurs zum Teil scharf kritisiert worden, denn die Konjunkturerholung in Europa zeigt sich robust. Nach einem BIP-Wachstum von 1,7 % in 2016 wird die Euro-Zone in 2017 um rund 2 % zulegen.

    Und auch wenn es Risiken wie den Brexit oder geopolitische Unsicherheiten gibt, so deuten Konjunkturindikatoren weiterhin auf ein positives Umfeld hin. Die Arbeitslosenquote ist inzwischen auf 9,1 % gesunken – der niedrigste Stand seit Februar 2009. Die Inflationsrate fällt zwar weiterhin gering aus, Deflationsrisiken sind laut EZB allerdings kein Thema mehr. Dennoch sieht sich die europäische Notenbank immer noch nicht in der Lage, sich mit Überzeugung von ihrem Aufkaufprogramm zu verabschieden, geschweige denn, die Negativzinspolitik zu ändern. Wie lange muss die Konjunktur noch gute Zahlen liefern, bevor die EZB eine überzeugende Wende startet? Das Fenster für eine Normalisierung der Geldpolitik könnte sich mit einer erneut eintrübenden Konjunktur im Euro-Raum relativ schnell schließen. Dann wäre die Geldpolitik ausgereizt, noch bevor sie begonnen hätte, die Konjunktur zu stützen. Demnach sollten zumindest die Negativzinspolitik und das Aufkaufprogramm schnellstmöglich beendet werden. Was hält die EZB zurück?

    Ein Grund ist sicherlich die Fed-Politik, die aus europäischer Sicht ebenfalls in der Kritik steht, denn deren zögerliches Verhalten hat zur Aufwertung des Euro geführt und die europäische Geldpolitik auch ohne EZB-Zinsanhebung gestrafft. Nun besteht die Sorge, dass mit einem Kurswechsel der EZB die Euro-Aufwertung anhält, und die geldpolitischen Straffung über das Ziel hinausschießt.

    Ein anderer Grund für das Zögern der EZB ist, dass die Geldpolitik – gemessen an der Geldmengenausweitung – nicht ausreichend in der Wirtschaft ankommt bzw. sich nicht in anziehenden Investitionen niederschlägt und damit nicht als außerordentlich expansiv einzuschätzen ist. Es existieren weder eine Kreditblase noch Anzeichen von Überinvestitionen.

    Eine Geldpolitik muss jedoch vorausschauend sein. So ist die aktuelle Lage weniger entscheidend als die Erwartungen bzw. das Risiko negativer Überraschungen. Hier unterscheiden sich die Kritiker von der EZB: Während die einen auf die stabile bzw. sich normalisierende Konjunktur verweisen, betont die EZB immer wieder, dass hierfür ihre geldpolitische Unterstützung bedeutsam war bzw. ist, und dass nach wie vor die Gefahr einer erneuten Eintrübung besteht. Die Sorge vor einem neuerlichen konjunkturellen Abschwung, möglichweise als Folge einer weniger unterstützenden Geldpolitik, scheint von zentraler Bedeutung für die EZB zu sein. Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass das Risiko für die Geldpolitik nicht symmetrisch ist: Die Kosten, zu spät zu reagieren, sind deutlich geringer als die, welche bei einer zu frühen Straffung und einem daraus resultierenden Abschwung zu erwarten wären. So scheint trotz anhaltend guter Konjunkturdaten die Sorge das EZB-Handeln weiterhin zu bestimmen, dass die Wirtschaft dem Einfluss der EZB-Politik infolge eines konjunkturellen Abschwungs völlig entgleiten könnte.

    Ist der Konjunkturausblick wirklich so unsicher, dass so unterschiedliche Einschätzungen zur Geldpolitik angebracht sind? Die Erfahrungen der Finanzkrise und die Sorge um den Einflussverlust der EZB auf die Wirtschaft infolge eines erneuten Abschwungs sind sicherlich nicht unbegründet, auch wenn sich die Euro-Wirtschaft nun schon im vierten Jahr einer konjunkturellen Erholung befindet. Doch entscheidender scheint etwas anderes zu sein: Die Argumente für eine schnellere geldpolitische Wende basieren auf der Einschätzung, dass das Zinsniveau im aktuellen Konjunkturumfeld zu niedrig ausfällt und angehoben werden muss. Die bedeutendere Frage für die EZB ist allerdings, ob eine nennenswerte geldpolitische Veränderung aktuell tatsächlich angebracht ist. Nicht das Zinsniveau selber, sondern der Einfluss einer Veränderung der Geldpolitik ist entscheidend: Sollte bei der aktuellen Inflations- und Konjunkturentwicklung die EZB eine Straffung ihrer Politik vornehmen? Die Antwort auf diese Frage ist weniger eindeutig, da es keine Anzeichen einer Überhitzung gibt. So ist das Zinsniveau alleine nicht entscheidend für das geldpolitische Handeln. Sind negative Zinsen grundsätzlich schädlich, wie so oft betont, wird dies eine Veränderung der Geldpolitik fördern. Noch scheint es jedoch keine nachhaltigen Anzeichen dafür zu geben.

    Vielen Kommentatoren fällt es schwer, angesichts negativer Zinsen und umfangreicher Anleihenaufkäufe nur auf die Wirkung einer Veränderung der Geldpolitik zu schauen, ohne über das Zinsniveau oder nicht-konventionelle Maßnahmen ein Urteil zu fällen. Zinsen unter 0 % und eine ausweitende Bilanz spiegeln keine „normale“ Politik, sondern eine Krisenpolitik und sollten somit alleine deshalb so schnell wie möglich gestoppt werden. Doch wie ist „normale“ Geldpolitik zu definieren und wer hat darüber die Deutungshoheit? Geldpolitik reflektiert immer die aktuellen Umstände. Sicherlich fördert sie gegenwärtig Blasenbildung, Umverteilungen und Fehlinvestitionen. Doch diese Folgen sind entweder teilweise gewünscht oder noch nicht signifikant, während die Schuldenstabilität vieler Euro-Länder immer noch ein reales Thema ist ebenso wie der nachhaltige Erhalt der Währungsunion und damit verbundene ausstehende Reformen. Die Vorstellung einer unabhängigen Notenbank mit alleinigem Fokus auf Inflation hat mit der steigenden Inflationsrate in den 70er Jahren an Popularität gewonnen. Nun haben sich aber die weltweiten Prioritäten der Notenbanken aufgrund schwachen Wachstums, hoher Schuldenquoten und global agierender Finanzmärkte geändert. Negative preisbereinigte Renditen sind hingegen nichts Neues.

    Keynes betonte in seiner General Theory mit Bezug auf neue Theorien und Ansätze: „The difficulty lies not so much in developing new ideas as in escaping from old ones”. Sicherlich hat die Aussage, dass eine zu lockere Geldpolitik mit Inflation einhergeht, auch weiterhin Bestand. Dies ist keine neue Theorie, sondern vielmehr eine Tatsache. Doch der Gedanke, dass die geldpolitische Verantwortung weitergeht, und dass kurzfristig eine stabile Inflationsrate nicht das alleinige, und vor allem auch nicht das wichtigste Ziel sein kann, wird nach wie vor ignoriert bzw. nicht akzeptiert. Ähnliches gilt für die indirekte Staatsfinanzierung, welche die EZB durch ihre Bilanzausweitung nun schon länger betreibt. Denn auch dabei handelt es sich um ein notwendiges Instrument, um die Zinszahlungen der Staaten zu reduzieren und so eine stabile bzw. sinkende Schuldenquote sicherzustellen. Dadurch wird verhindert, dass keine extremen staatlichen Sparvorhaben erforderlich sind, die die Nachfrage und somit das Wachstum belasten würden. Denn die Herausforderungen sowie die Rahmenbedingungen für die Wirtschaftspolitik haben sich vor allem seit der Finanzkrise deutlich geändert. Dies benötigt eine Neuausrichtung in den Prioritäten der Notenbankpolitik; ein Prozess wie er in der Geschichte immer wieder vorgekommen ist.

    Das mittelfristige Wirtschaftswachstum der Euro-Zone scheint jedoch weiterhin gering zu bleiben, was eine anhaltend unterstützende Geldpolitik erfordert und ihr aktuell wenig Handlungsspielraum lässt. Auf mögliche langfristige negative Implikationen der aktuellen Geldpolitik zu verweisen, ist unangebracht. Denn das Ziel kann nicht sein, ein anhaltend niedriges Wachstum zu akzeptieren, um Überhitzung und Inflationsdruck zu verhindern bzw. an veralteten geldpolitischen Prinzipien festzuhalten. Es gilt weiterhin, einen möglichen Abschwung zu verhindern und nicht eine etwaige zukünftige Überhitzung: The right remedy for the trade cycle is not to be found in abolishing booms and thus keeping us permanently in a semi-slump; but in abolishing slumps and thus keeping us permanently in a quasi-boom (Keynes: General Theory). Gemäß dieser Aussage handelt die EZB richtig. Die Frage ist nur, ob den Notenbanken noch ausreichend Instrumente zur Verfügung stehen, um dieses Ziel zu erreichen.

    Fazit: Der aufwertende Euro bzw. eine zögerliche Fed-Politik schränken den Handlungsspielraum der EZB ein, wie die jüngste Pressekonferenz der EZB sehr deutlich gezeigt hat. Dennoch steht die EZB angesichts guter Konjunkturdaten in der Kritik, eine nicht mehr angebrachte Krisenpolitik zu verfolgen. Der in diesem Zusammenhang oftmals geäußerte Verweis auf die Notwendigkeit einer „normalen“ Geldpolitik ist jedoch unangebracht. Entscheidend ist nicht das Niveau der Zinsen, sondern, ob eine Straffung der Geldpolitik auf Grundlage der wirtschaftlichen Daten angebracht ist. Dies ist angesichts nur moderater Wachstumsperspektiven und möglicher Konjunkturrückschläge in Europa nicht der Fall. Und was bedeutet „normale“ Geldpolitik überhaupt? Unterliegt sie nicht auch dem Wandel der Zeit? Mittelfristig ist durchaus mit einer graduellen Veränderung der geldpolitischen Ausrichtung zu rechnen. Um den überkommenen Prinzipien von „normaler“ Geldpolitik gerecht zu werden, ist deshalb noch für eine geraume Zeit eine positive Konjunkturentwicklung nötig. Preisbereinigte positive Renditen werden somit noch lange auf sich warten lassen.

    Gastautor: Dr. Klaus Bauknecht, IKB-Kapitalmarkt-News





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