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     768  0 Kommentare Unruhe nach dem Sturm

    An den Finanzmärkten gab es vor der Bundestagswahl vor allem zwei Lager. Die einen erhofften sich eine schwarz-gelbe Regierung und damit, vor allem von der FDP, ein wirtschaftsfreundliches Programm.

    Positive Ausschläge an den Aktienmärkten wären vermutlich die Folge gewesen. Die anderen setzten angesichts der guten Wirtschaftslage auf Stabilität und somit eine Fortsetzung der Großen Koalition, denn schließlich gilt in der Politik wie auch im Fußball: Never change a winning team.

    Wie wir seit Sonntagabend 18 Uhr wissen, bekamen weder die einen noch die anderen das erhoffte Szenario. Stattdessen bescherte der Wahlausgang Anlegern das, was an den Märkten als Gift schlechthin gilt, nämlich totale Unsicherheit. Schließlich kann es Monate dauern, bis eine neue Regierung gebildet ist, und selbst ob sie überhaupt zustande kommt, darf als höchst unsicher gelten.
    Im Extremfall drohen sogar ungetestete, für das politisch auf Stabilität bedachte Deutschland eher unbeliebte Gedankenspiele wie Minderheitsregierung oder Neuwahlen. Bedeutet all dies, dass das Volatilitätsumfeld nun rauer, das Risiko für Investoren größer wird? Kann es sein, dass wir alle die Bundestagswahl, die als das geringste politische Eventrisiko dieses Jahres galt, völlig unterschätzt haben?

    Wir glauben, die Antwort ist nein. Obwohl uns die milde Marktreaktion am Morgen nach der Wahl nicht in Sicherheit wiegen sollte, sind wir doch überzeugt, dass auch die absehbare Unsicherheit um die deutsche Politik kein Auslöser dafür sein wird, vom bisher risikogeneigten Umfeld auf risk-off umzuschalten. Analysen des BlackRock Investment Institute haben ergeben, dass Umfelder niedriger Volatilität wie jenes, das wir zur Zeit erleben, absolut konsistent sind, solange das ökonomische Umfeld
    so günstig ist wie das aktuell vorherrschende. Temporäre Ausbrüche höherer Preisschwankungen, wie wir sie etwa im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in Frankreich oder bei ersten verbalen Scharmützeln um Nordkorea im Juli erlebt haben, sind und bleiben genau das: temporäre Ausbrüche. Vergessen wir nicht, dass die Wahl in Frankreich in der Person von Marine Le Pen eine sehr ernst zu nehmende Gefahr
    für Europa war. Jetzt ist auch das Ergebnis der Bundestagswahl, auf den ersten Blick verstörend und für viele ein Schock, wohl kaum ein Grund, die Attraktivität von Risikoaktiva grundlegend anders einzuschätzen als vor der Wahl. Insofern denken wir, dass auch während der anstehenden Phase der Regierungsbildung, die vermutlich sehr lang und kontrovers verlaufen wird, die Märkte gelassen reagieren werden. Keine Gefahr für risk-on.

    Was bedeutet das für Anleger?
    Das soll natürlich nicht heißen, dass die Bundestagswahl für die mittlere Frist ohne Risiko ist. Wir sind sehr wohl der Meinung, dass die sich abzeichnenden Koalitionsgespräche zwischen Union, FDP und Grünen aus verschiedenen Gründen schwierig werden dürften. Die Dynamik des geplanten Schulterschlusses zwischen der Bundesregierung und Frankreich bezüglich der europäischen Integration dürfte sich verlangsamen. Auch sind die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende und die
    Migrationspolitik absehbare Stolpersteine, vor allem zwischen der CSU und der FDP einerseits und den Grünen und Teilen der CDU auf der anderen Seite des Tisches. Nicht auszuschließen, dass die SPD doch noch einmal an ihre staatspolitische Verantwortung erinnert werden muss. Immerhin geht Europa nun direkt von den Nachwehen der Bundestagswahl in die Aufwärmphase zur Wahl in Italien im Frühjahr 2018 über. Nimmt man das anstehende „Tapering“ der EZB hinzu, darf man davon ausgehen, dass auf
    Sicht die südeuropäischen Risikoaufschläge im Fokus von Rentenanlegern bleiben werden.
    Derweil nimmt das nordkoreanische Risiko um den Irren mit der Bombe weiter zu. Vielleicht sollte man aber eher von zwei Irren mit viel zu vielen Bomben reden, denn der Schlagabtausch der Protagonisten hat absurde Formen angenommen. Eine militärische Eskalation halten wir weiterhin für sehr unwahrscheinlich – zum Glück. Weniger erfreulich ist, dass eine Lösung des Konflikts nur mit China möglich ist. Und solange China daran kein echtes Interesse hat, wird uns das Nordkorea-Risiko erhalten
    bleiben. Es ist also wahrscheinlich, dass wir auf ein Schlussquartal zusteuern, das von soliden Wirtschaftsdaten und einem wackligen politischen Umfeld geprägt bleibt. Wir bleiben positiv für Aktien, aber Anleger brauchen auch für den Rest des Jahres gute Nerven.

    Gastautor: Dr. Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie für Deutschland, die Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock.





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    Verfasst von wO Gastbeitrag
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