Marktkommentar
Dr. Daniel Hartmann (BANTLEON): Italien rückt allmählich wieder ins Blickfeld
Dr. Daniel Hartmann bewertet den konjunkturelle Frühling und die politische Entspannung Italiens als ein Zwischenhoch - mittelfristig bleibt Italien der Problemfall der Eurozone.
Der Katalonien-Konflikt beherrscht weiterhin die Schlagzeilen. Insgesamt haben die Spannungen in Spanien aber etwas nachgelassen. Stattdessen rückt Italien zunehmend ins Blickfeld. Zuletzt wartete das Land mit positiven konjunkturellen Meldungen auf und selbst die Politik scheint sich zusammenzuraufen. Die traditionellen Parteien haben sich bei der Wahlrechtsreform auf eine Kompromissformel geeinigt, die zugleich die Erfolgschancen der eurokritischen 5-Sterne-Bewegung mindert.
Die Lage in Katalonien bleibt angespannt. Eine schnelle Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht. Dennoch scheint die Sezessionsbewegung an Schwung zu verlieren. Die mangelnde internationale Unterstützung, die einsetzende Fluchtbewegung der Unternehmen und die geschlossene Abwehrfront von drei der vier wichtigsten Parteien (PP, PSOE, Ciudadanos) lassen Carles Puigdemont zögern, die Unabhängigkeit endgültig auszurufen. Mithin ist das Risiko einer Abkopplung Kataloniens in den vergangenen Tagen eher kleiner als grösser geworden. Dies lässt sich zugleich an den rückläufigen Risikoaufschlägen spanischer Staatsanleihen (gegenüber Bundesanleihen) ablesen.
Im Windschatten Spaniens haben sich auch die Spreads Italiens eingeengt. Das Land erlebt derzeit eine Art zweiten Frühling. Die Basis dafür wurde im Sommer gelegt. Damals gab die EU grünes Licht für die staatliche Unterstützung von Monte dei Paschi di Siena sowie zweier Regionalbanken. Bereits zuvor gelang es Unicredit, die grösste Kapitalerhöhung der italienischen Geschichte zu stemmen (13 Mrd. EUR), womit vor allem der Abbau fauler Kredite finanziert werden soll. In der Tat sank das Volumen an notleidenden Krediten in Italien seit Jahresbeginn von 203 auf 173 Mrd. EUR.
Die Stabilisierung im Bankensektor schwappte in der Folge auf die Konjunktur über, die ohnehin von der weltwirtschaftlichen Erholung profitierte. Mithin war die Stimmung in der Wirtschaft im September so gut wie seit zehn Jahren nicht mehr. Zuletzt fielen auch die Aktivitätsdaten positiv aus. So zeichnet sich etwa bei der Industrieproduktion im 3. Quartal 2017 der stärkste Anstieg seit sieben Jahren ab (ca. 1,8% im Vergleich zu Q2). Entsprechend dürfte es auch beim BIP-Zuwachs zu einer Überraschung kommen. Wir rechnen mit 0,5%, während der Konsensus lediglich von 0,3% ausgeht.
In jüngster Zeit hat auch noch das politische Momentum ins Positive gedreht. Die gescheiterte Senatsreform (Dezember 2016) hinterliess in vielerlei Hinsicht einen Scherbenhaufen. Nicht nur war das komplizierte 2‑Kammer-System festgeschrieben, im Senat und in der Abgeordnetenkammer drohten aufgrund abweichender Wahlsysteme auch noch unterschiedliche Mehrheitsverhältnisse. Die Parteien waren daher erneut zu einer Wahlrechtsreform aufgerufen.
Nach zähem Ringen scheint eine Lösung gefunden: das sogenannte »Rosatellum« (genannt nach dem Sozialdemokraten Ettore Rosato). Es sieht vor, dass ein Drittel der Abgeordneten durch Direktwahl und nur die restlichen zwei Drittel über Parteilisten (gemäss proportionalem Stimmenanteil) bestimmt werden. Die Direktwahlmandate bevorzugen Parteien, die auf lokaler Ebene gut vernetzt sind und mithilfe von Allianzen Mehrheiten organisieren können. Dies trifft auf die traditionellen Parteien (PD, Forza Italia, Laga Nord), nicht jedoch auf die isolierte 5-Sterne-Bewegung zu. Letztere hat sich daher als einzige strikt gegen den Kompromiss ausgesprochen – vermutlich vergeblich. In der Abgeordnetenkammer ist die Wahlrechtsform bereits abgesegnet.
Sollte auch noch der Senat zustimmen, ist das neue Wahlrecht perfekt und mindert die Erfolgschancen der eurokritischen 5-Sterne-Bewegung bei den Parlamentswahlen im nächsten Frühjahr. Aus Sicht der Finanzmärkte sind das zunächst gute Nachrichten. Dessen ungeachtet bleibt es bei schwierigen Mehrheitsverhältnissen. Laut aktueller Umfragen ist sowohl das gemässigte linke als auch das rechte Lager weit von einer absoluten Mehrheit entfernt. Es besteht damit nur die Möglichkeit einer grossen Koalition. Starke Reformimpulse sind von einer solchen Regierung nicht zu erwarten. Hinzu kommt, dass die globale Belebung und die konjunkturellen Nachholeffekte in der Eurozone abebben werden. Dann ist zu befürchten, dass die italienische Wirtschaft erneut in die strukturelle Stagnation zurückfällt. Fazit: Das aktuelle Zwischenhoch sorgt in Italien für eine Verschnaufpause, mittelfristig bleibt das Land aber ein Problemfall und damit die Achillesferse der Eurozone.
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