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´n Abend,

ich stelle die Artikel aus dem morgigen HB mal hinein. Viel Spaß beim Lesen ;)

Gruß
OnlyForMoney

1)
Monsanto-Übernahme

Hochzeit auf dem Acker
Es ist das Endspiel in der Agrochemie: Bei der Übernahme von Monsanto geht es für Bayer-Chef Werner Baumann auch um das Überleben des eigenen Konzerns. Ein Blick hinter die Kulissen des größten Deals der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Von Bert Fröndhoff, Siegfried Hofmann und Sven Afhüppe

Daheim im ruhigen Krefeld zieht sich Werner Baumann gerne in die Garage seines Einfamilienhauses zurück. Er greift nach Holz, Säge, Bohrmaschine und Werkzeugkoffer und baut etwas. Das sei für ihn die beste Form der Entspannung, erzählt der Bayer-Chef. Nicht selten entsteht so ein komplettes Möbelstück. Doch Baumann träumt von mehr: "Ich kann mir vorstellen, auch ein ganzes Haus selber zu bauen."

Auch als Bayer-Chef ist Baumann Visionär. Für 62 Milliarden Dollar will er den US-Saatgutspezialisten Monsanto übernehmen und zum Weltmarktführer in der Agrochemie aufsteigen. Es wäre die größte Übernahme in der deutschen Nachkriegsgeschichte, ein Jahrhundertdeal. Selbst die "Hochzeit im Himmel" der Autohersteller Daimler und Chrysler fiel mit 43 Milliarden Euro deutlich kleiner aus. Doch die transatlantische Auto-Mesalliance taugt durchaus als Warnung. Denn auch die Übernahme des umstrittenen US-Konzerns Monsanto ist kein Selbstläufer. Es hagelt Kritik - von Bauernverbänden, von Nichtregierungsorganisationen und von Investoren.

In seiner Krefelder Garage ist Baumann in diesen Tagen nicht zu finden. Er jettet um die Welt, um den Milliarden-Deal zu erklären. Ende vergangener Woche war er in London, am Montag in Paris, Dienstag ging es weiter nach Boston und New York. Den großen institutionellen Investoren aus dem angelsächsischen Raum gehört annähernd die Hälfte der Bayer-Aktien.

Viele Investoren sind geschockt, die Flucht aus der Bayer-Aktie ist massiv: Zwölf Milliarden Euro Börsenwert hat Bayer seit dem 11. Mai verloren, als die ersten Gerüchte über die Offerte aufkamen. Noch vor vier Wochen war Bayer nach Marktkapitalisierung das wertvollste deutsche Unternehmen, heute rangiert der Konzern nur noch auf Platz vier, hinter SAP, Siemens und Telekom.

Wie aufgebracht manche Investoren sind, zeigt die Reaktion von John Bennett, Fondsmanager von Henderson Global Investors. Die Arbeit von Baumanns Vorgänger Marijn Dekkers sei in "Stücke gerissen worden", schimpft er. Solche Rückmeldungen bekommt Baumann immer wieder von enttäuschten Anlegern, die glaubten, ihr Geld in einen Pharmakonzern investiert zu haben und wenig begeistert sind von dem neuen Schwerpunkt in der Agrochemie.

Der Frust geht so weit, dass einige angelsächsische Fonds ihr Engagement infrage stellen, wie aus Finanzkreisen zu hören ist. Eine Umfrage des amerikanischen Brokerhauses Bernstein unter 45 Bayer-Investoren ergab: Nur sieben Prozent halten einen Monsanto-Kauf für den richtigen Schritt.

Baumann hält dagegen. Die Übernahme biete eine "attraktive Wachstumsperspektive", sagte er dem Handelsblatt und unterstrich: "Größe ist kein Wert an sich. Monsanto passt vom Geschäft her einfach perfekt zu Bayer." Noch hat seine Überzeugungsarbeit bei den Anlegern nicht gezündet: Der Aktienkurs verharrt seit Tagen bei 86 Euro.

In der Monsanto-Zentrale in St. Louis, tief im Mittleren Westen der USA, herrscht ebenfalls Funkstille. Nur ein kurzes Telefonat soll es zwischen Baumann und Monsanto-Chef Hugh Grant in den vergangenen Tagen gegeben haben.

"Der Kaufpreis, den wir angeboten haben, stellt einen attraktiven und sicheren Wert für die Aktionäre von Monsanto dar", sagte der Bayer-Chef dem Handelsblatt. Er geht davon aus, dass der geplante Milliarden-Deal "kein Sprint, sondern eher ein Marathon wird".

Das Ende dieses Langstreckenlaufs ist offen: ein Sieg, mit dem der neue Chef gleich nach Amtsantritt die Zukunft des Konzerns sichert, oder eine finanzielle und strategische Krise, aus der das Unternehmen schwer herauskommen wird.

Der 53-jährige Bäckersohn Werner Baumann aus Krefeld kennt die Risiken. Verärgerte Investoren sind längst nicht das einzige Problem für ihn.

Die deutsche Öffentlichkeit ist irritiert: Was will der angesehene Forschungskonzern mit Monsanto, dem vielleicht meistgehassten Unternehmen der Welt? Einer Firma, die als größter Produzent von gentechnisch veränderten Pflanzen und Sinnbild einer industrialisierten Landwirtschaft ständige Zielscheibe von Umweltaktivisten weltweit ist. Schon jetzt machen sie gegen den Deal mobil. Monsanto produziert auch das Pflanzenschutzmittel Glyphosat, das weiterhin in Verdacht steht, krebserregend zu sein.

In den USA wird Baumann nicht wärmer empfangen. Die Bauern fürchten die Macht des neuen Agrochemieriesen. "Wir erleben eine Fusionsmanie unter den Saatgutherstellern, und Kleinbauern tragen die Kosten", sagt Chandler Goule von der amerikanischen National Farmers Union. Er sorgt sich, dass Bayer/Monsanto und das andere neue Agrarchemie-Schwergewicht Dow/Dupont künftig die Preise diktieren könnten.

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann Bayers Pläne die US-Politik erreichen und in den Wahlkampf gezogen werden. Noch haben die Kontrahenten um das US-Präsidentenamt das Thema nicht für sich entdeckt. Doch kommende Woche endet die Sitzungspause des Parlaments. Dann, glaubt Goule, werden die ersten Abgeordneten die Übernahmeschlacht aufgreifen. Schon jetzt wenden sich Farmer in den USA besorgt an ihre lokalen Repräsentanten. Darf Amerika seinen größten Saatgutproduzenten in europäische Hände geben?

Wer Baumann in diesen Tagen spricht, erlebt einen entschlossenen, aber auch nachdenklichen Manager. Einen, der weiß, dass schon ein kleiner Fehler die Übernahme gefährden kann. Für Baumann ist die Situation auch deshalb so heikel, weil er erst seit gut vier Wochen Vorstandschef von Bayer ist. Weil er nicht gleich zu Beginn seiner Amtszeit ein Debakel erleben will, hat er die Chancen und Risiken intensiv analysiert, immer wieder. Die angestrebte Transaktion sei das Ergebnis einer gründlichen Prüfung, hat er den Bayer-Mitarbeitern in einem internen Schreiben erklärt.

Der Bayer-Chef ist so überzeugt, dass er den Anteilseignern schon jetzt steigende Gewinne in Aussicht stellt. "Die Transaktion soll den Bayer-Aktionären bereits im ersten vollen Jahr nach der Übernahme einen positiven Beitrag zum bereinigten Ergebnis je Aktie im mittleren einstelligen Prozentbereich bringen, im zweistelligen Prozentbereich danach", sagt er dem Handelsblatt. Ein mutiges Versprechen.

Wer verstehen will, warum Baumann all die Risiken für Bayer und für sich als junger CEO in Kauf nehmen will, der muss tief in den Konzern blicken, der sich gerade erst neu formierte und bald schon wieder zur Großbaustelle werden könnte.

Als Bayer am 20. Mai erstmals das Übernahmeangebot an Monsanto bestätigte, war nicht nur die Finanzwelt verblüfft. 62 Milliarden Dollar als erstes Angebot für den Saatgutkonzern - das hatte niemand dem gerade erst angetretenen Chef zugetraut. Denn der hatte Mitarbeiter und Öffentlichkeit zuvor auf eine weiterhin eher unspektakuläre Zukunft der Bayer AG eingestellt. Bei einem Dinner mit Journalisten im Bayer-Casino am 11. April sagte er noch: "Das Thema des Unternehmens ist Evolution statt Revolution. Erwarten Sie nicht, dass sich Bayer in eine andere Richtung entwickeln wird."

Gerade erst hat Bayer die Kunststofftochter Covestro abgestoßen und sich eine neue Konzernstruktur gegeben. Bayer präsentiert sich seit Jahresbeginn als Life-Science-Konzern, fokussiert auf Pharma- und Pflanzenschutz.

Der Umbau war ein Kraftakt, wie ihn Bayer zuletzt 2001 erlebte, umgesetzt binnen eineinhalb Jahren. "Ein Unternehmen unserer Größenordnung häutet sich nur alle zehn bis 15 Jahre", erläuterte Baumann, der langjährige Finanz- und Strategievorstand von Bayer, und signalisiert: Weiter so! Es bleibt, wie es ist.

Alles nur ein Bluff?

Hundert Meter neben dem Casino, an der Kaiser-Wilhelm-Allee in Leverkusen, brüten in der Konzernzentrale die Bayer-Experten für Fusionen und Übernahmen schon zu diesem Zeitpunkt längst über einem brisanten Konzept. Die Manager loten seit Monaten eine Offerte für den amerikanischen Saatgutspezialisten Monsanto aus.

Eine Woche später, am 18. April, kommt Monsanto-Chef Hugh Grant nach Leverkusen in die Bayer-Zentrale. Er weiß, dass Bayers Agrargeschäft und Monsanto gut zusammenpassen und würde die Bayer-Sparte gern selbst übernehmen. Doch das Gespräch verläuft anders, als der Amerikaner erwartet hatte. Er testet die Verkaufsbereitschaft von Bayer - doch die Leverkusener drehen den Spieß um. Drei Wochen später liegt die Übernahmeofferte auf dem Tisch des Amerikaners.
Die Konzerne belauern sich

Verhandlungen zwischen Monsanto und Bayer haben eine lange Geschichte. Bereits vor gut fünf Jahren habe der damalige Bayer-Chef Marijn Dekkers zusammen mit Aufsichtsratschef Werner Wenning einen Einstieg beim US-Konkurrenten geprüft, heißt es in Konzernkreisen. Auch Dekkers hatte da gerade erst als Vorstandsvorsitzender begonnen, schon damals hieß der Monsanto-Chef Hugh Grant. Doch Dekkers ließ die Finger von dem komplexen Milliardendeal. Dennoch sei der "strategische Dialog" nie abgebrochen, heißt es weiter.

Mit seinem Namensvetter aus dem Filmbusiness hat Monsanto-Chef Hugh Grant wenig gemeinsam. Der gebürtige Schotte ist nicht der charmante und feingliedrige Typ, er ist bullig und extrem selbstbewusst. Schließlich hat er Monsanto von einer Klitsche mit Pleitegefahr zum weltgrößten Anbieter von Saatgut gemacht. Die ewigen Angriffe gegen ihn und gegen den Konzern hält der bekennende Optimist aus. "Was wir machen, ist gut", sagt er stoisch.

Was ihn mehr sorgt, ist Monsantos Schwäche. Agrochemiekonzerne müssen die Landwirte künftig rundum versorgen können und brauchen dafür Größe, davon ist er überzeugt. Monsanto hat jede Menge Saatgut, doch es fehlen Pflanzenschutzmittel im Portfolio. Zum dritten Mal binnen vier Jahren klopft er im Frühjahr 2015 beim weltgrößten Pflanzenschutzanbieter Syngenta zwecks Übernahme an. 43 Milliarden Dollar bietet Monsanto für die Schweizer.

Grant verbeißt sich ein weiteres Mal an der Übernahme, scheitert am Widerstand der Schweizer. Doch eines hat er bewirkt: In der Agrochemiebranche, in der sich die sechs großen Anbieter stets belauern, ist die Tür für die nächste Runde an Übernahmen und Fusionen nun weit aufgestoßen. Jeder spricht mit jedem.

Monsanto aber bleibt auch beim nächsten Spielzug außen vor. Die US-Chemiekonzerne Dow Chemical und Dupont kündigen im Dezember ihre Fusion an und wollen aus ihren Agrochemiesparten einen neuen Weltmarktführer schaffen. Wenige Wochen später verkündet Syngenta den Verkauf an den chinesischen Staatskonzern Chemchina für rund 47 Milliarden Dollar.

Jetzt sind nur noch Monsanto, Bayer und BASF übrig. Im Bayer-Vorstand beschreibt man die neue Situation als "fragiles Marktgleichgewicht". Grant hat es schon länger auf den Leverkusener Konzern abgesehen. Immer wieder tauchen an der Börse Gerüchte auf, dass die Amerikaner die Bayer-Division Crop Science kaufen wollen.

In Leverkusen liegen die Grundzüge für einen Zusammenschluss mit Monsanto schon länger in der Schublade der M&A-Spezialisten. Die sechs großen Agrochemieanbieter weltweit kennen sich gut, forschen gemeinsam an Saatgut und neuen Pflanzenschutzmitteln oder vermarkten sogar gemeinsam Produkte. Die Idee einer noch tieferen Integration ist stets präsent.

Es ist ein verschlossener Kreis, in den so schnell kein neuer Wettbewerber eindringen kann. Denn die Entwicklung neuer Agrarprodukte ist teuer, die Zulassungsverfahren sind aufwendig und kosten viel Geld. Ein Geschäft, wie es sich der neue Bayer-Chef wünscht. "Wir investieren in profitable Märkte mit starkem Wachstum, in denen es hohe Eintrittsbarrieren gibt und in denen wir Größe aufbauen können", so beschrieb Baumann beim Amtsantritt seine Strategie.

Dass Bayer im Endspiel um die Marktmacht nicht verlieren will, hat der Konzern schon vorher klargemacht. Wenn sich die Branche auf nur noch vier statt sechs Großanbieter verkleinert, werde Bayer "auf jeden Fall dabei sein", sagte Liam Condon, Chef der Bayer-Division Crop Science, im Dezember dem Handelsblatt. Experten aus der Branche unterstreichen: Jetzt sei die wohl letzte Gelegenheit, sich extern groß zu verstärken.

Die Gelegenheit ist da, die Logik ist gegeben - doch das ist nicht die einzige Überlegung an der Firmenspitze von Bayer. Es wächst die Furcht, dass Monsanto sich mit einem Pharmahersteller zusammentun könnte, um die Leverkusener komplett zu übernehmen und anschließend aufzuspalten. "Diese Bedrohung ist ein realistisches Szenario", heißt es in Konzernkreisen. Bayer hat sich mit seiner jüngsten Neuordnung auch anfälliger für Übernahmen gemacht - die Kunststofftochter ist bereits ausgegliedert und an der Börse.

Am 22. Mai gibt der Aufsichtsrat grünes Licht für die Übernahmeofferte. Baumann weiß Aufsichtsratschef Werner Wenning hinter sich, der eng in alle wesentlichen Entscheidungen eingebunden ist. Baumanns Vorgänger Dekkers, so ist im Konzern zu hören, sei nicht gegen den Deal. Sein früher als geplant erfolgter Abtritt als Bayer-Chef machte aber den Weg frei: Baumann soll die größte Übernahme eines deutschen Konzerns von Beginn an alleine schultern.

Der neue Bayer-Chef schnürt ein Paket, das Stärke demonstrieren soll: 122 Dollar pro Monsanto-Aktie in bar. Dem Monsanto-Management lasse dies nur wenig Spielraum für weitere Manöver, kommentiert John Colley, Professor an der Warwick Business School und Spezialist für Unternehmensübernahmen. Eine Offerte komplett in bar und mit einem Aufschlag von mehr als 40 Prozent auf den Monsanto-Kurs vor der Ankündigung - dagegen kann Hugh Grant bei seinen Aktionären nur schwer argumentieren. Dass Monsanto das Angebot umgehend abgelehnt hat, gehört zum Spiel.

Der verblüffende Vorstoß von Bayer ist eine vielfache Wette: Darauf, dass die schwierige Integration eines komplexen US-Konzerns gelingt. Auf den Siegeszug der Gentechnik in der Ernährung. Auf das Vertrauen der Investoren in die Strategie. Auf die Kraft, aus dem Geschäft so viel herauszuholen, dass der Konzern finanziell stabil bleibt.

Hinter dem Deal steckt mehr als nur eine gute Gelegenheit. Der neue Bayer-Chef will die Kräfte im Konzern neu austarieren. Verdienen lässt sich im Pharmageschäft wie in der Agrochemie bestens. Doch zugleich steigen in beiden Industrien auch die Risiken. Und die will die die Bayer-Führung im Konzern besser verteilen.
Der Wert des Kreuzes

Wer mit dem Zug von Düsseldorf nach Köln fährt, kommt am Wahrzeichen von Leverkusen vorbei: dem 120 Meter hohen Bayer-Kreuz aus 1 710 Glühlampen, nachts weithin in der Region zu sehen. Das Kreuz ist das Markenzeichen des Konzerns, noch immer hängt es über vielen Apotheken als Werbung, es prangt auf bekannten Arzneien wie Aspirin und neuen Wachstumsbringern wie dem Gerinnungshemmer Xarelto. Bayer, Deutschlands größter Pharmakonzern, so kennt man die Leverkusener seit Jahrzehnten in aller Welt.

Vorstandschef Dekkers warb zwar intensiv für die integrierte Life-Science-Strategie, also Pharma und Pflanzenschutz. Doch für viele Beobachter schien ausgemacht, dass der Schwerpunkt weiter auf dem Geschäft mit Arzneien liegen würde. Die Pharmasparte war schließlich der große Gewinn- und Wachstumstreiber in der Ära Dekkers. Erfolgreiche Mittel wie Xarelto oder das Augenmittel Eylea lieferten hohe Gewinnmargen. Die Börse bejubelte den Erfolg. Zwischen 2011 und 2015 verdoppelte sich der Bayer-Kurs.

Die Investoren hätten in den vergangenen Jahren vor allem wegen des Pharmageschäfts in Bayer investiert, nicht wegen der Agrochemie, heißt es beim US-Brokerhaus Bernstein. Die Erwartung vieler Anleger war unterschwellig, aber spürbar: Längerfristig werde der Leverkusener Konzern letztlich den gleichen Weg wie Novartis, Sanofi oder Astra Zeneca gehen und zum reinrassigen Pharmakonzern mutieren.

Kein Wunder also, dass die Offerte für Monsanto für viele Investoren geradezu ein Schock ist. Nun marschiert der Konzern in eine ganz andere Richtung als erwartet. Die Gewichte werden sich dramatisch verschieben. Das Agrogeschäft wird im neuen Bayer-Konzern deutlich größer sein als Pharma und Consumer Health (verschreibungsfreie Mittel) und zum größten Teilbereich mit künftig etwa 50 Prozent Umsatzanteil anschwellen.

Nicht nur bei den Investoren, auch unter den Mitarbeitern in den beiden Gesundheitsdivisionen ist eine Furcht groß: Hat Bayer nach einem Monsanto-Deal überhaupt noch finanzielle Kraft, das Pharmageschäft weiterzuentwickeln? 41 Milliarden Euro Schulden lastet sich Bayer mit dem Deal auf. Konzernweite Sparprogramme drohen, wenn die Monsanto-Übernahme nicht schnell genug die erhofften Synergien bringt. Den Mitarbeitern hat Bayer-Chef Baumann zumindest versprochen, dass "wir keines unserer Geschäfte verkaufen müssen".

Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat billigten die Monsanto-Offerte "nur mit einigen Bauchschmerzen". Der Bayer-Vorstand sicherte ihnen in einem Abkommen schriftlich zu: Rationalisierungsmaßnahmen zur Finanzierung der Akquisition werden in Deutschland nicht stattfinden.

Baumann will von Einschränkungen für die anderen Divisionen nichts wissen. "Wir werden alle unsere Geschäftsbereiche durch Investitionen und organisches Wachstum stärken - so zum Beispiel durch Investitionen in Forschung und Entwicklung wie auch in unsere Standorte", sagt er dem Handelsblatt. Aber Baumann weiß auch, dass der Spielraum für weitere Zukäufe beschränkt bleibt in den nächsten Jahren.

Das wäre nicht weiter bedenklich, wenn die Pharmasparte auch künftig der Selbstläufer bliebe, der sie in den vergangenen Jahren war. Doch daran zweifeln mittlerweile nicht nur Analysten - auch im Bayer-Management ist man sich der Gefahren durch Patentabläufe und Forschungsflops bewusst.
Schwächelt Pharma?

Das Herstellen von Arzneien ist wohl eines der risikoreichsten Vorhaben überhaupt. Es werden Milliardenbeträge in die Suche nach Wirkstoffen gesteckt, weitere Milliardenbeträge verschlingt die Entwicklung und Erprobung eines Stoffs bis zu seiner Zulassung. Bis zum Schluss kann das Projekt scheitern - und das Pharmaunternehmen mit leeren Händen dastehen.

Bayer hat in diesem Geschäft ein gutes Händchen bewiesen. Nach der Übernahme von Schering im Jahr 2006 füllte sich die Pipeline an aussichtsreichen neuen Wirkstoffen. Vorstandschef Dekkers intensivierte ab 2011 vor allem Marketing und Vertrieb im Pharmageschäft. Mit Erfolg: Die Sparte ist in den vergangenen vier Jahren um mehr als ein Drittel gewachsen, und damit deutlich stärker als die Branche.

Und noch immer brummt das Bayer-Pharmageschäft. Im ersten Quartal steigerte die Sparte ihren Umsatz währungsbereinigt um zwölf Prozent. Die Neuentwicklungen der letzten Jahre sorgen weiter für Schwung.

Doch schon jetzt ist absehbar: Für Bayer wird es sehr schwer, diesen Erfolg auch ins nächste Jahrzehnt zu tragen. Denn der Konzern steuert auf ein Problem zu, das in der Branche "Patent Cliff" genannt wird. Vom Jahr 2020 an verlieren die heutigen Wachstumstreiber wie Xarelto, Eylea und das Krebsmittel Nexavar ihren Patentschutz. Dann kommen Konkurrenten mit Kopien auf den Markt, die Preise purzeln und damit die Gewinne des Original-Herstellers.

Für Xarelto zeichnet sich schon jetzt stärkerer Wettbewerb durch das Konkurrenzprodukt Eliquis von Bristol-Myers und Pfizer ab, das wesentlich stärker zulegt. Im Markt für Bluter-Medikamente wird das umsatzstarke Bayer-Mittel Kogenate in den nächsten Jahren womöglich durch Neuentwicklungen von Firmen wie Biogen, Roche und Baxalta gebremst.

Der Blick der Branche richtet sich daher immer mehr darauf, ob Bayer attraktiven Nachschub aus den Labors liefern kann. Und dabei kann der Konzern noch nicht überzeugen.

Als Bayer im April den Analysten seine Pharmaforschung präsentierte, gab die Aktie anschließend um zwei Prozent nach. Die Investmentbank Credit Suisse monierte, dass der Konzern wichtige Projekte fallen gelassen habe und die Entwicklungspipeline ohnehin dünn sei. Bayer widersprach: Es sei normal, dass die Pipeline regelmäßig auf die aussichtreichsten Projekte fokussiert werde

Der Konzern stellt nun Projekte aus den frühen Forschungsphasen stärker heraus. Ob sie die aktuellen Blockbuster ersetzen können, ist heute nur schwer zu erkennen. Dazu kommt: In aussichtsreichen Therapiegebieten wie Rheuma, Multiple Sklerose, Diabetes oder neurologischen Erkrankungen ist Bayer forschungsmäßig praktisch nicht mehr vertreten. Auch in der Immuntherapie, dem vielversprechendsten Feld der Krebsforschung, hat Bayer kaum etwas zu bieten.

Viele Analysten sehen den Konzern daher vor der Herausforderung, dass er seine Pharmapipeline durch weitere Zukäufe und Allianzen stärken muss - und fürchten, dass er die dazu nötige Flexibilität mit dem riesigen Monsanto-Deal verliert. "Es wäre besser, wenn Bayer noch ein wenig Spielraum für ergänzende Akquisitionen im Pharmabereich behalten würde", sagt Markus Manns, Fondsmanager bei Union Investment.

Ein Ende des Pharmabooms würde Bayer empfindlich treffen. Und dieses Szenario, so ist aus dem Konzern zu hören, sei ein Motiv für den Griff nach Monsanto. Eine Agrochemiesparte als unangefochtener Weltmarktführer könnte eine mögliche Schwäche im Arzneigeschäft abfedern.
High Tech für den Bauern

Dass die Agrochemie gar nicht so weit vom Pharmageschäft entfernt ist, unterstreicht Bayer seit Jahren. Aus Molekülen werden Wirkstoffe zusammengesetzt, die Menschen, Tieren und Pflanzen helfen sollen. Im Grunde mache man bei Bayer Crop Science Medikamente für Pflanzen, sagte Divisionschef Condon einmal über das Geschäft mit Pflanzenschutzmitteln.

Bei der Entwicklung von Saatgut kommt jede zur Verfügung stehende Technologie zum Einsatz: neue Kreuzungen, Biotech und die gentechnische Veränderung von Pflanzen. Das Ziel: Pflanzen, die mehr Ertrag bringen und weniger anfällig sind.

Gelingt Bayer die Übernahme von Monsanto, wären die Leverkusener auf einen Schlag in beiden Segmenten Weltmarktführer. Auf etwa 23 Milliarden Euro Umsatz käme die Crop-Science-Division, sie würde gut ein Viertel des globalen Marktes beherrscht und womöglich auf Jahrzehnte uneinholbar bleiben. Mit einem Forschungsbudget von 2,5 Milliarden Euro wären die Leverkusener weit voraus.

Mit Monsanto könnte Bayer die Landwirte weltweit in allen wichtigen Produktklassen rundum versorgen. Im Geschäft mit der Datenanalyse in der Landwirtschaft hätten beide eine aussichtsreiche Technologieplattform

All das soll die Gewinnspannen im Agrogeschäft weiter nach oben bringen: Schon heute liegen sie vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (Ebitda) bei rund 25 Prozent. Die Pharmasparte von Bayer kam im vergangenen Jahr auf rund 30 Prozent.

Auf dem Papier also ein gutes Geschäft. Doch die Risiken sind enorm.
Risiko Reputationsverlust

Bilanziell ist der Monsanto-Deal eine Herausforderung, die weit über das hinausgeht, was sich Bayer bisher an Akquisitionen geleistet hat. Der Konzern will den Kaufpreis von gut 55 Milliarden Euro zu einem Viertel über frisches Eigenkapital finanzieren. Das würde auf eine Kapitalerhöhung im Volumen von rund 15 Milliarden Euro hinauslaufen.

Auf Basis des aktuellen Kurses müsste Bayer fast 160 Millionen neue Aktien ausgeben - es wäre wohl die größte Kapitalerhöhung, die je ein deutscher Konzern angestoßen hätte. Sollte Bayer, wie von vielen erwartet, das Angebot noch aufstocken müssen, wird die das Volumen noch zunehmen. Das gilt auch für die Verschuldung. Sie steigt auf Basis des aktuellen Angebotes um 41 Milliarden auf etwa 57 Milliarden Euro.

Für die wertorientierte Konzernsteuerung bei Bayer ist nicht der Gewinn je Aktie der entscheidende Maßstab sondern der sogenannte Cashflow-Return on Investment. Etwas mehr als sieben Prozent Brutto-Cashflow-Rendite bezogen auf das eingesetzte Kapital fordert Bayer bisher für die eigene Agrosparte. Um diese Hürde im Falle Monsanto mit einer womöglich mehr als 60 Milliarden Euro teuren Monsanto-Übernahme zu überwinden, wird Bayer die Erträge des US-Konzerns um mindestens 50 Prozent steigern müssen.

Das heißt: Die Integration eines schwierigen US-Konzerns in die eigene Organisation müsste schnell und erfolgreich gelingen. Baumann vertraut dabei voll auf die Erfahrungen der Bayer-Manager in dieser Managementdisziplin. Er selbst hat sich bei der Integration von Schering die Sterne erworben, die ihm den Weg an die Bayer-Spitze ermöglichten.

Allgemein gilt bei solchen Deals: "Die Herausforderung liegt vor allem in der erfolgreichen Integration des übernommenen Unternehmens und der Anpassung der unterschiedlichen Kulturen", so Dirk Albersmeier, Co-Chef für Fusionen und Übernahmen von JP Morgan in Europa. Die kulturelle Zusammenführung gelinge deutschen Managern aber wegen ihrer verstärkten internationalen Erfahrung heute viel besser als noch vor Jahren.

Günstig sieht es mit Blick auf die Finanzierungskosten aus. Bayer kann sich im aktuellen Niedrigzinsumfeld vermutlich für weniger als zwei Prozent refinanzieren. Der Betriebsgewinn von Monsanto von zuletzt etwa 3,1 Milliarden Euro dürfte daher ausreichen, um die zusätzlichen Zinslasten von schätzungsweise 600 bis 800 Millionen Euro mühelos zu tragen.

Die womöglich größere Herausforderung könnte für Bayer nicht auf der betriebswirtschaftlichen Seite liegen. Darin kennt sich Baumann bestens aus. Doch dass er Bayers guten Ruf in der Welt bewahren kann, wenn er den wohl unbeliebtesten Konzern der Welt unter seine Fittiche nimmt, muss er noch beweisen.

Die Bayer-Manager mögen Monsanto als attraktiven Biotechkonzern sehen - in der Öffentlichkeit hat das amerikanische Unternehmen ein Image, das kaum zu unterbieten ist. Umweltverbände halten Monsantos Technik zur Entwicklung genmanipulierter Pflanzen für Teufelswerkzeug. Andere werfen dem Konzern vor, mit rüder Preispolitik und Knebelverträgen Kleinbauern, also die eigenen Kunden, zu drangsalieren.

Bayer droht ein Reputationsverlust. Bei Übernahmen würden die Folgen für eine Marke meist unterschätzt, beobachtet Torben Bo Hansen, Chef der Werbeagentur Philipp und Keuntje. "Vertrauen ist schnell zerrüttet", sagt er.

Doch es gibt auch andere Stimmen: Bayer verfüge über einen so guten Ruf, "dass der Konzern das miese Image der Monsanto-Geschäfte polieren könnte", sagt ein Berater aus der Agrochemie. Vorausgesetzt, der Name Monsanto verschwindet. Aber das ist ohnehin Teil der Bayer-Strategie - wovon Hugh Grant und seine Mannen wiederum kaum begeistert sein dürften.

Kartellrechtlich hat Bayer nicht viel Widerstand zu erwarten. Doch in der amerikanischen Politik werden bereits Stimmen laut, die Monsanto nicht in der Hand eines europäischen Konzerns sehen wollen.

Es geht um Stolz und nationale Autonomie der Amerikaner. "Wir werden feststellen, dass die Versorgung mit Nahrungsmitteln nicht mehr in unseren Händen liegt, wenn wir so weitermachen wie bisher", sagt der US-Farmer-Funktionär Goule. Die Tatsache, dass Ausländer immer größere Besitzanteile übernehmen, entwickele sich zu einem Problem.
Baumanns Herausforderung

Misstrauen bei den Investoren, Misstrauen bei den Mitarbeitern, Misstrauen bei den Amerikanern: Der neue Bayer-Chef wird in den kommenden Monaten vor allem sein kommunikatives Können beweisen müssen.

Dass er dabei einen langen Atem braucht, ist dem bekennenden Nicht-Sportler bewusst. In der Bayer-Führung rechnet man damit, dass alle regulatorischen Fragen erst im nächsten Jahr geklärt sein werden. Die Zeit schreckt Baumann nicht, eher die Sorge, dass der Milliarden-Deal scheitern könnte.

Ein Haus, das weiß Heimwerker Baumann, steht erst mit dem Richtfest wirklich sicher.


2)
Banken

Kurzfristige Finanzierung steht
Bayer-Chef Werner Baumann hat eine Sorge weniger. Seit Mittwoch dieser Woche steht die Finanzierung der geplanten Übernahme von Monsanto. Es geht um eine Brückenfinanzierung, wie die Experten es nennen. Fünf Banken stemmen das riesige Kreditvolumen von 60 Milliarden Euro, das nach Informationen aus Finanzkreisen bei Bedarf auf bis zu 75 Milliarden aufgestockt werden kann. Bayer gewinnt damit bis zu ein Jahr Zeit.

Den Banken kommt der Auftrag gerade recht, denn mit Brückenkrediten lässt sich gutes Geld in ertragsschwachen Zeiten verdienen. Fast alle Banken von Rang und Namen haben sich bei Bayer als Kreditgeber beworben. Dazu gehören die britische Barclays Bank, die französische Société Générale, aber auch chinesische und holländische Institute, heißt es in den Finanzkreisen.

Die Deutsche Bank allerdings war nicht dabei. Banker rätseln über die Gründe für den freiwilligen Verzicht. Ein Interessenkonflikt? Oder wollte Vorstandschef John Cryan die Bilanz schonen?

Am Ende teilen die Fusionsberater Bank of America Merrill Lynch und Credit Suisse sowie die Großbanken HSBC, Goldman Sachs und JP Morgan den Kredit unter sich zu gleichen Teilen auf, berichten Finanzkreise. Dafür kassieren die fünf Banken einen Zins von rund 0,5 Prozent für das erste Halbjahr. Dieser steigt, falls sich die Laufzeiten verlängern. Hoffnungen machen sich die Institute auch, wenn es darum geht, Aktien aus der nötigen Kapitalerhöhung bei Bayer und neue Anleihen zu platzieren. Zudem ist geplant, langfristige Kredite aufzunehmen, deren Volumen 20 Milliarden Euro betragen könnte, heißt es in den Kreisen.

Die größte Herausforderung für Bayer allerdings ist die geplante Kapitalerhöhung. Immerhin geht es um neue Aktien im Wert von bis zu 15 Milliarden Euro. Drei Milliarden Euro sollen aus Wandelanleihen stammen, die übrigen zwölf Milliarden Euro sollen bei Investoren platziert werden. Das wird nicht leicht angesichts des Kursverfalls von rund 15 Prozent seit Anfang Mai, warnen Banker. Kapitalerhöhungen in solcher Größenordnung hat es in Deutschland selten gegeben. Die letzte stammt von der Deutschen Bank. Im Mai 2014 holte sich das Institut rund acht Milliarden bei seinen Aktionären und nahm mit Katar auch noch einen Ankeraktionär auf. Das Modell Deutsche Bank wäre auch ein Modell für Bayer. Doch Staatsfonds sind angesichts schlechter Erfahrungen bei Investments wie Volkswagen nicht erpicht auf deutsche Assets.

Nachdem die Aktionäre zu Kasse gebeten wurden, bleiben mindestens 25 Milliarden Euro für Anleihen, die neben Krediten platziert werden müssen. Auch das wird nicht einfach. Die Ratingagentur Standard & Poor’s sieht die Übernahmepläne Bayers kritisch und prüft, ob die Kreditwürdigkeit darunter leidet. Ist das der Fall, dann würde die Bonitätsnote um zwei Stufen gesenkt, wie S&P schon erklärt hat. Bayer besäße nur mehr mittlere Kreditqualität. Der Weg bis zur spekulativen Anlage wäre nicht weit. Das allerdings würde die Finanzierung verteuern. Bayers Versprechen, den "Anleiheinvestoren ein sicheres und stabiles Investment" zu bieten, würde kaum zu halten sein. Verlassen kann sich Bayer aber auf EZB-Chef Mario Draghi. Sein Kaufprogramm für Unternehmensbonds erleichtert und verbilligt den Verkauf neuer Anleihen. Ein Zins von "gut einem Prozent erscheint nicht unrealistisch", meint deshalb ein Banker.

Fakt ist: Der Deal erfordert viel Geduld von Baumann. Auch kartellrechtliche Genehmigungen müssen eingeholt werden. Deswegen wird Monsanto bei einer Einigung eine Ausfallzahlung von den Leverkusenern fordern. Sie wird fällig, falls die Übernahme scheitert. Investmentbanker nennen das "Break-up Fee". Dass das keine leere Drohung ist, zeigte sich, als der Telekomriese AT&T den vereinbarten Kauf der T-Mobile USA von der Deutsche Telekom im Dezember 2012 wieder auflöste. Die Bonner kassierten satte drei Milliarden Dollar in bar, als der Kaufvertrag für nichtig erklärt wurde. So hoch wird die Strafe sicher nicht ausfallen, falls der Bayer-Deal platzt. Banker rechnen hier mit bis zu einer Milliarde Euro.

Konzerne wie BASF, die nach Informationen aus Finanzkreisen ebenfalls große Übernahmen in den USA durchspielen, beobachten die Transaktion genau. Kann die Börse eine zweistellige Kapitalerhöhung aufnehmen? Bleibt die Aktie stabil? Verkäufe von Fonds, die die Geschäftspolitik von Monsanto kritisch sehen, belasten den Kurs. Gerade Fondsgesellschaften, die auf nachhaltige Investments setzen, haben sich bereits von der Bayer-Aktie getrennt, berichten Finanzkreise. Tatsächlich sei angesichts des genmanipulierten Saatguts die Gefahr groß, dass die Aktie nach der Übernahme aus Nachhaltigkeitsindizes falle.

Die Risiken für Bayer sind also enorm. Und auch die Übernahmepläne anderer Konzerne haben nur dann eine Chance, wenn Bayer-Chef Baumann erfolgreich ist. Robert Landgraf


3)
AgroChemie

Kampf gegen den Hunger
Es gibt einen schlichten Grund für die Attraktivität des globalen Agro-Business: Die Menschheit wächst. Bis 2050 könnten fast zehn Milliarden Menschen die Erde bevölkern - davon die meisten in der Mittelschicht. Wenn sich immer mehr Menschen mit viel Fleisch und hochverarbeiteter Nahrung ernähren wollen, müsste die Agrarproduktion in den kommenden 34 Jahren um ein Drittel steigen. Gleichzeitig aber gehen durch Misswirtschaft und Erosion Agrarflächen auf dem Globus verloren.

Monsanto-Chef Hugh Grant gibt bereits den Retter der Menschheit: Die Kritiker der Gentechnik könnten sich Bio-Essen leisten, während viele Menschen vor allem in Entwicklungsländern an Hunger leiden. Doch 2050 würden zwei Milliarden Menschen mehr auf der Erde leben. "Die sollen ohne Biotechnik ernährt werden? Das glaube ich nicht", sagt Grant. Einen Beweis für diesen Glaubenssatz bleibt er allerdings bislang schuldig. Denn Fakt ist: Es wird schon jetzt ein Drittel mehr Lebensmittel erzeugt als benötigt. Die aktuelle Überproduktion bei Milch ist nur ein Beispiel dafür. Hunger herrscht trotzdem.

Das zeigt: Hunger ist keine Ressourcen-, sondern eine Verteilungsfrage. Mangelernährung ist nicht in erster Linie ein Problem fehlender Nahrungsmittel, sondern fehlender Kaufkraft der Ärmsten - von akuten Katastrophen abgesehen. Das zeigt sich daran, dass der Kampf gegen den Hunger heute in Regionen geführt werden muss, die eigentlich fruchtbar sind. Die meisten Menschen hungern im bevölkerungsreichen Südostasien, außerdem in Afrika südlich der Sahara. Die meisten dieser Hungernden leben auf dem Land. In der Regel bauen sie nicht allein für den Eigenbedarf an. Viele tropische Kleinbauern bieten Rohstoffe wie Kakao, Baumwolle und Kaffee an, die auf dem Weltmarkt hochbegehrt sind. Dennoch reicht ihre individuelle Ernte häufig nicht, um mit dem eingenommenen Geld ihre Familien zu ernähren.

Den Bauern mangelt es nicht an High Tech von Bayer oder Monsanto. Das zeigen Unterstützungsprogramme, die Stiftungen, Hilfsorganisationen und Konzerne wie Nestlé auflegen: Kleinere Millionenbeträge können das Leben vieler Tausend Kleinbauern entscheidend verbessern. Denn die häufig ungebildeten Kleinbauern können ihre Erträge mit ganz einfachen Mitteln steigern: geeignete Pflanzabstände, regelmäßige, sachgerechte Düngung, möglicherweise neue Pflanzen. Die Potenziale für Erntesteigerungen sind hier wegen der geringen Basis viel höher als in den industrialisierten Agrarländern.

Außerdem fehlt vielen Kleinbauern in abgelegenen Gegenden ein ausreichender Marktzugang: Rohstoffe vergammeln auf dem Weg zum Markt, Kleinbauern werden von Zwischenhändlern betrogen, Transportkosten sind wegen schlechter Infrastruktur unverhältnismäßig hoch. Gegen den echten Hunger hilft der Weg aus der monetären Armut - sei es als fachkundig arbeitender Bauer oder als Industriearbeiter. Daher geht es etwa der Uno-Organisation FAO bei der Bekämpfung des globalen Hungers, der bis 2025 beseitigt sein soll, weniger um die Ausweitung globaler Erntemengen als um Hilfen für eine verarmte Landbevölkerung in extrem unterentwickelten ländlichen Regionen.

Doch das große Wirtschaftspotenzial für die Agrochemie liegt nicht bei diesen armen Bauern, sondern dort, wo finanzkräftige Landwirte investieren können. Die riesigen Anbauflächen im Mittleren Westen der USA sind attraktiv, ebenso die ausgedehnten landwirtschaftlichen Flächen in Argentinien und die subventionierte EU-Landwirtschaft. Was dort wächst, trägt häufig nur indirekt zur Welternährung bei. Bei Mais und Soja geht es in der Regel um Tierfutter oder um Rohstoff für Bioenergie. Der süße Mais landet in den USA als Sirup zudem in Softdrinks wie Coca-Cola, die in Europa mit Zucker gesüßt werden. Ernährungsphysiologisch sind das eher unnütze Kalorien.

Der andere Teil, der nicht als Biokraftstoff verfeuert wird, endet als Fleisch auf den Tellern. Unter Effizienzgesichtspunkten ist das eine schlechte Nutzung der Biomasse: Je Hektar Anbaufläche können deutlich weniger Menschen von Fleisch ernährt werden als von Nutzpflanzen. Das Fleisch erreicht die globalen Mittelschichten vor allem in Amerika, Europa, Nahost und Ostasien - nicht die Hungerleider, die es sich nicht leisten können. Industrielle Landwirtschaft nutzt eher den globalen Mittelschichten und ermöglicht es, wachsende Mittelschichten an Fleisch- und Milchkonsum teilhaben zu lassen. Dabei entwickelt sie neue Formen wie Aquakulturen für Fische und neuartige Gewächshäuser - und die Gentechnik.

Unverzichtbar ist diese Entwicklung nicht: Denkbar ist auch, dass bei gleichbleibender Produktivität und steigender Nachfrage schlichtweg der Preis für Fleisch auf dem Weltmarkt deutlich steigt und die globalen Mittelschichten wieder weniger landintensive tierische Produkte verzehren. Zudem könnten bislang für Bioenergie genutzte oder stillgelegte Flächen reaktiviert werden. Satt würden auch so alle - wenn die Verteilung stimmt.


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Monsanto UND DIE GENTECHNIK

Prächtige Gewinne, mieser Ruf
Was in den Forschungslabors von Monsanto geschieht, bringt Agrarmanager ins Schwärmen und Umweltschützer in Wallung. In St. Louis im Bundesstaat Missouri, tief im Mittleren Westen der USA, züchten Experten neue Pflanzen. Sie kreuzen alte Sorten, aber sie greifen auch direkt in ihr Erbgut ein. Gentechnisch verändertes Saatgut soll die Landwirtschaft ertragreicher machen. Damit lassen sich hohe Preise bei den Farmern erzielen. Im Gegenzug erntet man den Hass der Gegner grüner Gentechnik.

Für Monsanto ist die Forschung der heilige Gral. Mit jährlich 1,5 Milliarden Dollar gibt die Firma rund zehn Prozent des Umsatzes dafür aus. Die Erfolge zahlen sich bis heute aus. Mit Hilfe der Gentechnik hat Monsanto High-Tech-Saatgut entwickelt: Die Feldfrüchte brauchen weniger Wasser, bringen mehr Vitamine oder Stärke oder produzieren selbst Wirkstoffe gegen Schädlinge. Das Saatgut wird vor allem für Mais, Sojabohnen und Baumwolle verwendet, aber auch für Reis oder Kartoffeln.

Für Umweltaktivisten ist das genetisch veränderte Saatgut Teufelswerk. Sie fürchten sich vor einem "Superkraut", das gegen alle Chemikalien resistent sei. Auch kursieren Geschichten, genetisch veränderte Pflanzen würden Allergien auslösen oder Krebs verursachen. Unter dem Verdacht, Krebs auszulösen, steht auch das Pflanzenschutzmittel Glyphosat, das von Monsanto produziert wird. Nach hitziger Diskussion hat die EU das Mittel gerade erst für weitere zwei Jahre zugelassen - dann soll die Krebsgefahr endlich geklärt sein.

Obwohl auch Bayer, Dupont oder Syngenta gentechnisch verändertes Saatgut herstellen, wurde Monsanto zum weltweiten Symbol für GMO und zum Lieblingsfeind der Gegner. "Wir wurden zum De-facto-Prellbock", sagte Monsanto-Chef Hugh Grant. Diese Rolle könnte bald auf Bayer zukommen, wenn die Übernahme des US-Konzerns gelingt. Die Leverkusener setzen darauf, mit einer anderen Art der Geschäftspolitik und Kommunikation der grünen Gentechnik zu mehr Akzeptanz zu verhelfen. In Europa, da sind sich die Marktexperten sicher, dürfte dies auf absehbare Zeit kaum gelingen. Die Ablehnung der Gentechnik in der Ernährung ist zu massiv. In China ist der Einsatz nicht erlaubt. Genveränderte Pflanzen werden vor allem in den USA, Brasilien und Argentinien angebaut.

Monsanto ist aber nicht nur im GMO-Geschäft aktiv. Ein wichtiger Geschäftsbereich ist das traditionelle Kreuzen von Pflanzen. Eines der ersten Produkte von Monsanto war in den 1990er-Jahren die Flavr-Savr-Tomate, die früher geerntet werden konnte. Allerdings litt der Geschmack, weswegen der Konzern jetzt ironischerweise eine Tomate anbietet, die länger an der Rebe bleibt und dadurch einen vollen "Kleingartengeschmack" bekommt. Im Portfolio sind wunderliche Verkaufsschlager wie Ever Mild, eine Zwiebel, die keine Tränen verursacht, oder Bellafina, eine golfballgroße Paprika.

Für Grant und viele seiner Mitarbeiter ist die Kritik an Monsanto unverständlich. Statt für ihre "coole Wissenschaft" im Kampf gegen den Welthunger anerkannt zu werden, stünden sie am Pranger. Ihre Reaktion war viele Jahre lang die gleiche: "Hochmut und Naivität", wie Grant selbst sagte. Für ihn und seine Wissenschaftler war der Konsument eine "abstrakte Größe", Geschäfte wurden mit Landwirten gemacht. Und die laufen bis heute gut. Auch wenn derzeit die Umsätze zurückgehen, weil die Getreidepreise niedrig sind. Im jüngsten Quartal setzte das Unternehmen 4,5 Milliarden Dollar um und verdiente knapp 1,1 Milliarden Dollar. Die finanziellen Erfolge hatten aber auch eine Kehrseite: Der Konzern nahm die Kritik erst nicht ernst. Ein Fehler, wie Grant eingesteht. Das Unternehmen ließ sich von anderen definieren, statt selbst in die Offensive zu gehen. "Das gilt für alle Agrarunternehmen und vor allem für Monsanto: Wir müssen besser erklären, woher die Lebensmittel stammen." Monsanto zahlt bis heute die Rechnung. Die Firma gehört mit zu den unbeliebtesten in den USA. Einmal im Jahr begehen Aktivisten in der ganzen Welt einen "Marsch auf Monsanto". Thomas Jahn, Bert Fröndhoff

 
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Autor (Datum des Eintrages): OnlyForMoney  (02.06.16 23:12:23)
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